Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
sein, oder? Sie könnte gesehen haben, wie Patsy Janowski das Haus verließ, und gedacht haben, da stecke etwas dahinter. Vielleicht steckte wirklich etwas dahinter. Caroline Hartley könnte sich ihren Morgenmantel selbst ausgezogen haben, und wenn Veronica sie nackt gesehen hätte ... Sie könnte reingestürzt sein, mit Caroline gestritten und sie getötet haben. Dann könnte sie sich umgezogen haben, rausgeschlichen und später zurückgekommen sein.«
Sie gingen hinaus in die Kälte und blieben so lange im Wagen sitzen, bis er sich aufgewärmt hatte. »Möglich«, meinte Banks. »Aber wir haben das gesamte Haus nach blutverschmierter Kleidung durchsucht und nichts gefunden. Im Kamin waren auch keine verkohlten Stoffreste. Ich will nicht behaupten, dass sie keinen anderen Weg gefunden haben könnte, aber bis jetzt bin ich zumindest noch nicht drauf gekommen. Wir haben einfach zu viele Verdächtige - zu viele Motive und Gelegenheiten.« Er schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Und ich komme nicht von dieser verdammten Platte los. Warum? Warum sollte jemand eine Platte auflegen und sie laufen lassen?«
»Vielleicht hat Caroline sie selbst aufgelegt.«
»Sie hat klassische Musik gehasst. Sie hat sie vielleicht ausgepackt, aber ich bezweifele, dass sie sich die Platte angehört hätte.«
»Aber wenn Veronica zurückgekommen wäre ...?«
»Wenn es so passiert ist, wie Sie meinen, und sie gesehen hätte, wie Patsy das Haus verließ, dann hätte sie innerlich getobt. Sie hätte bestimmt nicht innegehalten und sich erst mal ihr Weihnachtsgeschenk angehört, besonders nicht am zweiundzwanzigsten Dezember. Nein. Das ergibt keinen Sinn.« Er sprach leise, fast wie zu sich selbst. »Aber die Musik ist für das Begräbnis eines sehr kleinen Kindes gedacht. Carolines Kind müsste jetzt so neun oder zehn Jahre alt sein. Wenn ich nur das Kind aufspüren könnte ...«
»Das würde aber heißen, dass der, der die Platte aufgelegt hat, die Musik kannte und wusste, was sie bedeutet.«
»O ja, der Mörder wusste das ganz genau, da bin ich mir sicher.«
»Glauben Sie nicht, dass Sie der Musik etwas zu viel Bedeutung schenken, Sir?«
»Vielleicht. Aber Sie müssen zugeben, dass sie ein Rätsel ist.«
»Wo wir gerade von Musik sprechen, Sir ...«
»Ja?«
»Könnten Sie auf dem Rückweg vielleicht etwas anderes auflegen? Ich will nicht unhöflich sein, Sir, aber die Musik auf dem Hinweg war so langweilig, dass ich fast eingeschlafen wäre.«
Banks lachte und fuhr los. »Ihr Wunsch ist mir Befehl.«
* II
»Na, so was - wenn das nicht Mr Banks ist. Ein seltenes Vergnügen, Sie hier zu sehen.«
»Tut mir Leid, Herr Pfarrer. Irgendetwas an meinem Beruf hält mich davon ab, an eine gütige Gottheit zu glauben.«
»Manchmal fassen Sie doch Ihre Kriminellen, oder?«
»Ja.«
»Na also. Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
Die Augen von Pfarrer Piers Catcott funkelten. Er war ein schmächtiger Mann Ende vierzig, der eher wie ein Buchhalter als ein Geistlicher aussah: dicke Brillengläser, dünner werdendes silbriges Haar, leichter Buckel und eine blutarme, gründlich geschrubbte Gesichtsfarbe. Während ihrer früheren Gespräche und Diskussionen bei einem Bier im Queen's Arms hatte Banks festgestellt, dass er zudem ein außerordentlich gebildeter und intelligenter Mann war. Schade nur, dass er sich dieser verdammten Religion verschrieben hatte, dachte Banks.
»Aber ich vermute«, sagte Catcott, »Sie haben nicht das große Opfer gebracht, diesen geheiligten Ort zu betreten, nur um über Theologie zu streiten, oder?«
Banks lächelte. »Das ist richtig, Herr Pfarrer. Das können wir im Pub wesentlich besser. Nein, ich brauche nur ein paar Hintergrundinformationen. Oder eher Hintergrundwissen. Ich will Ihren Grips anzapfen.«
»Oje. Ich könnte mir vorstellen, dass das im Sitzen wesentlich bequemer ist. Natürlich nur, wenn Sie keine Einwände gegen eine Kirchenbank haben. Wir können aber auch in die Sakristei gehen.«
»Eine Bank ist in Ordnung«, antwortete Banks, »solange Sie nicht von mir erwarten, dass ich niederknie.«
In der kleinen Kirche war es halbdunkel und kühl. Schwaches Abendlicht schien durch die Buntglasfenster. Banks kannte die Kirche von außen besser als von innen, obwohl er ein paarmal drinnen gewesen war, um sich das keltische Kreuz und den Taufstein anzuschauen. Als sie sich hinsetzten,
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