Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
weiß, dass du nach mir gesucht hast«, sagte er lächelnd zu Banks. »Mein Name ist Graham Marshall. Ich war in der Armee. Dann habe ich mir die Haare schneiden lassen. Jetzt stehe ich im Regen. Emily ist bei mir, aber sie kann sich dir im Moment nicht zeigen.« Dann begann er, eine konfuse Lebensgeschichte zu erzählen, an die Banks sich nicht erinnern konnte, als er schweißgebadet vom Läuten ferner Kirchenglocken aufwachte.
Draußen war es immer noch dunkel, und Banks knipste die Nachttischlampe an. Er war in einem kleinen Hotel in der Nähe von King's Cross, nicht in dem, wo er mit Annie und Emily gewesen war. Dort hatte er nicht noch einmal übernachten wollen.
Als er einigermaßen zu sich gekommen war, stellte er mit Erleichterung fest, dass er nur einen milden Kater hatte. Was daran lag, wie er sich erinnerte, dass er Burgess' Einladung abgelehnt hatte, mit in dessen Wohnung zu kommen und die ganze Nacht Whisky zu trinken. Er wurde doch nicht etwa weiser im Alter? Trotzdem war er froh, nur durch ein paar Pubs gezogen und einige Pints getrunken zu haben. Für Burgess musste es ein langweiliger Abend gewesen sein; sie waren in keine Schlägereien verwickelt worden und hatten auch keine Frauen aufgegabelt. Burgess hatte hauptsächlich über Clough geredet, und Banks hatte den Eindruck gewonnen, dass, selbst wenn es ihm nicht gelang, Clough den Mord an Emily anzuhängen, für den Mann die Tage in Freiheit gezählt waren.
Das einzige Problem mit Clough als Verdächtigem war, dass er durch Emilys Tod nichts zu gewinnen hatte. Trotzdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass sie ihn bestohlen hatte, wie Ruth Walker andeutete, oder dass sie zu viel über seine Geschäftsunternehmen wusste, obwohl Banks der Meinung war, sie hätte ihm davon erzählt, falls das der Fall war. Möglich war auch, dass Clough nur glaubte, sie wisse zu viel. Das setzte natürlich voraus, dass die ganze Sache mit Logik und Profit zusammenhing. Und wenn nicht? Clough war sicher fähig, jemanden zu töten, und wenn Emily ihn auf irgendeine Weise gedemütigt hatte, war er vermutlich fähig, sie aus schierer Bösartigkeit zu töten.
Banks stand auf und goss sich ein Glas Wasser ein. Der Traum und der Alkohol hatten seinen Mund austrocknen lassen. Während er in der winzigen Kabine duschte, verdrängte er den Traum über Graham Marshall und dachte wieder an das, was Ruth gesagt hatte. Ihren Worten nach kam auch Riddle als Verdächtiger in Betracht, jemand, den Banks als Verdächtigen total übersehen hatte.
Er fand es schwer, sich ernsthaft vorzustellen, dass ein Mann wie Jimmy Riddle seiner Tochter absichtlich mit Strychnin versetztes Kokain gab, selbst wenn er aus irgendeinem obskuren Grund ihren Tod wollte. Und ihr Tod hatte nicht dazu beigetragen, Riddle von der Schande ihrer Abenteuer zu befreien, sondern hatte sogar den gegenteiligen Effekt, denn die Sensationspresse veröffentlichte bereits Geschichten über die Tochter des Chief Constables und ihr wildes Leben. Das würde Riddles angehender Karriere als Politiker oder seinem Ansehen bei der Polizei kaum gut tun.
Dann gab es noch Rosalind Riddle. Banks hatte ihr gegenüber schon von Anfang an ein merkwürdiges Gefühl gehabt, schon als Riddle ihn bat, nach London zu fahren und Emily zu finden. Rosalind hatte den Anschein erweckt, Emily aus irgendeinem Grund nicht wieder zu Hause haben zu wollen. Kürzlich hatte sie sogar geleugnet, je von Ruth Walker gehört zu haben, doch Ruth hatte gesagt, sie habe mehrmals mit ihr am Telefon gesprochen. Das bedeutete vermutlich gar nichts, erkannte Banks, bloß eine Erinnerungslücke, ein missverstandener Name oder eine schlechte Verbindung, aber Rosalinds Rolle bei der ganzen Sache gab ihm zu denken. Sie verschwieg ihm etwas, nur was? Ob es für die Ermittlung wichtig war, konnte er nicht sagen. Alle Familien haben Geheimnisse, die hinter den Schutzmauern schwären können.
Banks beschloss, sich momentan auf den Ermittlungsstrang zu konzentrieren, den er in London verfolgte, wo Emily die meisten Drogen genommen hatte und mit zwielichtigen Gestalten zusammengekommen war: vor allem Clough, natürlich, der log, wenn er den Mund aufmachte. Dann Ruth Walker, die für Banks ein Rätsel blieb, jedoch eine Frau zu sein schien, die überaus verbittert war. Und schließlich Craig Newton, der gekränkte Exfreund und Verfolger, der Amateur-Pornofotograf, den Banks heute erneut aufsuchen würde.
Nach einem raschen
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