Inspector Alan Banks 14 Kein Rauch ohne Feuer
wird?«
Phil schürzte die Lippen und dachte kurz nach, dann antwortete er: »Ich schätze, ungefähr dreihunderttausend. Vielleicht noch etwas mehr, weil er zu einer Serie gehört.«
Der Wein wurde gebracht. Der Kellner zeigte ihnen zuerst die Flasche, dann den Korken und goss ein wenig in Phils Glas. »Schenken Sie einfach ein. Falls er korkt, bringen Sie uns doch bestimmt eine neue Flasche.«
»Selbstverständlich, Sir«, bestätigte der Kellner. Diesen Service war Annie in den Restaurants von Yorkshire nicht gewohnt. Aber irgendwas schien Phil an sich zu haben, dass die Leute so reagierten. Vielleicht hatte er Ähnlichkeit mit irgendeinem Prominenten, obwohl Annie niemand einfiel. Der einzige andere Mensch, der eine ähnliche Ausstrahlung hatte, war Stefan Nowak. Annie konnte sich gut vorstellen, dass auch Stefan vom Kellner mit Respekt behandelt wurde.
Phil trank einen Schluck Wein und sah sich um. »Übrigens hat Turner hier auch mal gegessen«, erklärte er, »auf der Reise, als er Skizzen für dieses Aquarell anfertigte.«
»Wirklich? Ich weiß, dass der Laden alt ist, aber so alt ...«
»Nun, ich denke nicht, dass es derselbe Koch war. Turner hat sich hauptsächlich übers Wetter beschwert. War ein alter Griesgram. Und ein kleiner Geizhals.«
»Na, dann hat er hier doch gut hingepasst.«
»Ich hab die Menschen in Yorkshire immer als unheimlich großzügig kennen gelernt.«
»Du hast Recht. Ist nur so ein Vorurteil über die Leute hier, und manchmal hat man den Eindruck, sie sind ein bisschen stolz auf ihre Knauserigkeit.«
»Sie sind einfach vorsichtig in puncto Geld, das stimmt. Aber es ist keine Schande, das Geld nicht zu verschwenden, hat mein Großvater immer gesagt.«
Fast hätte Annie ihn nach seinen Großeltern aus Yorkshire gefragt, aber sie hielt sich zurück. Heute Abend hatte sie keine Lust, über Familie und Vergangenheit zu sprechen. Irgendwie wurde sie immer ein wenig unruhig, wenn es um die Herkunft anderer Menschen ging.
Die Vorspeise wurde serviert, eine Zeit lang aßen beide schweigend. »Eine Sache, die ich dich immer schon mal fragen wollte, ist, warum das Gemälde so lange verschwunden war«, sagte Annie, als sie die letzte Walnuss vertilgt hatte. »Ich meine, wo es doch ein Turner war und zu einer Serie gehörte.«
»Es gibt jede Menge verschollener Turner. Du weißt ja, dass der letzte Fund zu einer Serie von zwanzig Aquarellen gehört, die Turner für ein Buch namens Geschichte von Richmondshire anfertigte. Die ersten zwölf reichte er im Frühjahr 1817 beim Verleger zum Druck ein, die anderen acht im Dezember desselben Jahres. Danach wurden die Originale an verschiedene Käufer veräußert. Das, was in Eastvale ausgestellt wurde, Richmond Castle und Stadt, war eines von sechs Motiven, die der Verleger der Geschichte zum Selbstkostenpreis verkaufte. Fünfundzwanzig Guinees. Kaum zu glauben, was? Bisher scheint der einzige Beleg dafür eine Ausstellung in der Northern Society in Leeds 1822 zu sein. Spätere Nachweise gibt es nicht. Drei von den zwanzig gingen irgendwann verloren, zwei waren verschollen, jedenfalls bis letzten Sommer, und eines wurde bei einem Brand zerstört.«
Annie spitzte die Ohren. »Bei einem Brand?«
»Ah, verstehe. Du denkst an den Bootsbrand, den du gerade untersuchst, stimmt's? Tja, ich enttäusche dich ja nicht gerne, aber das ist sehr viele Jahre her. Da gibt's keinen Zusammenhang.«
»Trotzdem fehlt noch eins aus der Serie?«
»Ja. Ingleborough von der Terrasse von Hornby Castle. Verschollen seit der Jahrhundertwende. Es wurde 1881 bei einer Auktion von Christie's zum Rekordpreis an einen gewissen Herrn W. Law verkauft. Zweitausend Guinees. Sicher, es wäre schön, wenn man es finden und die Serie vervollständigen könnte, aber die Bilder werden ja eh nicht an zentraler Stelle gesammelt.«
»Die große Antiquitätenshow!«
»Mach du nur Witze, das kommt öfter vor, als du denkst: Dachbodenfunde. Das hässliche Landschaftsbild, das Tante Eunice bei Opa im Keller deponiert hat.«
Annie lachte. »Na, hässlich ist der Turner aber nicht.«
»Natürlich nicht. Aber immerhin fand ihn jemand so nichts sagend, dass er ihn unter eine Schicht Isoliermasse gesteckt hat.«
Beim Essen unterhielten sie sich über ihre Lieblingsgemälde und -filme. Beide waren Fans von Alec Guinness in den alten Ealing-Komödien, aber Phil bevorzugte Der Schlüssel zum Paradies
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