Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
trat ein. Das einzige Geräusch war das Summen des Kühlschranks. Über dem Haus lag eine tiefe Stille, die Stille von Roys Abwesenheit. Banks fühlte sie schwerer als bei seiner Ankunft vor vier Tagen.
Zuerst sah er in der Küche nach. Der Laptop, den er auf dem Tisch hatte stehen lassen, war nicht mehr da. Er nahm an, dass die Polizei ihn mitgenommen hatte. Daran konnte er nichts ändern, aber er würde Brooke Bescheid sagen müssen, dass er ihn zurückhaben wollte, wenn sie damit fertig waren.
Dann ging er hoch in Roys Büro. Die Beamten, die das Haus durchsucht hatten, hatten gründliche Arbeit geleistet. Alles stand wieder an seinem alten Platz.
Banks ging ins Fernsehzimmer und fläzte sich aufs Sofa. Er dachte über die CD nach, die er gefunden hatte. Am Mittwoch musste Roy bereits gewusst haben, dass er in etwas Anrüchiges verwickelt war, denn da versteckte er das Foto von Lambert und dem Unbekannten zwischen seinen Pornobildern. Und vielleicht war Roy auch klar, dass dieses Anrüchige sehr schnell kritische Ausmaße annehmen würde - egal, ob es sich um Prostitution, illegale Einwanderung oder sonst was handelte. Wusste Roy, dass sein Leben in Gefahr war? Banks bezweifelte es. Wenn Roy gewohnt war, sich am Rande der Legalität zu bewegen, wenn er öfter in schlechter Gesellschaft war, dann war er wahrscheinlich arrogant genug gewesen zu glauben, dass er mit allem fertig würde. Aber irgendetwas hatte sich geändert, und zwar zwischen Mittwoch und Freitagabend, vielleicht auch ein paar Tage früher, wenn Jennifer Clewes' verändertes Verhalten ein Anhaltspunkt war.
Was hatte Roy in diesen entscheidenden Tagen gemacht ? Wo war er gewesen? Mit wem hatte er gesprochen? Wenn Banks diese Fragen beantworten konnte, wäre er vielleicht in der Lage, das Rätsel um Roys Tod zu lösen. Und um den von Jennifer.
Er dachte über das nach, was Annie ihm beim Frühstück erzählt hatte, über die Ärztin, die den Prostituierten half. Hatte Jennifer Clewes das Roy erzählt? Höchstwahrscheinlich. Wie hatte er darauf reagiert? Hatte das etwas mit dem gewaltsamen Tod der beiden zu tun? Aber Banks verstand nicht, wie es zum Mord führen konnte, hilflosen illegalen Einwanderern zu helfen. Es sei denn, die Leute, die die Illegalen hier einschleusten, fühlten sich durch irgendetwas bedroht.
Banks hatte nicht vergessen, was Burgess ihm verraten hatte: Gareth Lambert war ein Schieber mit einem Netz von Beziehungen zur Unterwelt. Die Balkanroute kenne er wie seine Westentasche. Und jetzt hatte Annie von osteuropäischen Huren erzählt, die im Berger-Lennox-Center ein und aus gingen. In Banks' Kopf begann sich ein sehr verschwommenes Bild zu formen, doch Roys Platz darin war ihm noch nicht klar, so wenig wie der Grund für seinen Tod.
Er ließ sein Gespräch mit Corinne vom Vorabend Revue passieren. Durch die Unterhaltung mit ihr hatte er viel über seinen Bruder erfahren. Roy mochte die Goon Show und Monty Python; das Ministerium für alberne Gangarten konnte er hervorragend nachmachen, ganz ordentlich war seine Version des Sketches mit den vier Männern aus Yorkshire. New York war noch immer seine Lieblingsstadt, Italien sein Lieblingsland. Vor kurzem hatte er mit digitaler Fotografie begonnen; die Bilder an den Wänden waren von ihm. Er spielte regelmäßig Golf und Tennis, war ein Fan von Arsenal. (Typisch, fand Banks. Für ihn gehörte Arsenal in dieselbe Kategorie wie Manchester United - alles nur gekauft.) Seine Lieblingsfarbe war Violett; sein Lieblingsessen Risotto mit Wildpilzen, sein Lieblingswein Amarone. Er liebte die Oper und ging oft mit Corinne nach Covent Garden (auch wenn sie zugab, dass sie nie so richtig etwas damit anfangen konnte). Beide sahen sich gerne Hollywood-Musicals und ausländische Filme mit Untertitel an: Bergman, Visconti, Renoir, Fellini.
Roy gab Bettlern auf der Straße Geld, beschwerte sich aber, wenn er in einem Geschäft oder Restaurant das Gefühl hatte, übervorteilt zu werden. Er war manchmal launisch, und Corinne musste zugeben, dass sie nie so recht wusste, was in seinem Kopf vor sich ging. Aber sie liebte ihn, sagte sie Banks, und dann flossen die Tränen nach dem dritten Glas Wein zum zweiten Mal. Auch wenn sie wochenlang nicht gewusst hatte, wie sie mit ihm dran war, auch wenn er sie mit dem Trauma der Abtreibung so gut wie allein gelassen hatte. Irgendwie hatte sie trotz allem gehofft, dass er seiner neuen Eroberung müde werden und zu ihr
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