Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
die jüngeren Leute alle ins Duck and Drake oder in den Red Lion abwandern. Dann wären wir sie wenigstens los, dachte Banks. Aber er musste ja nicht seinen Lebensunterhalt mit diesen Leuten verdienen.
Die verschiedenen Akzente verrieten viel über den Wandel in den Dales. Außer dem einheimischen Zungenschlag erkannte Banks Dialekte aus London, Newcastle und Belfast. Auch gab es immer mehr Chaoten in Eastvale. Jedem fiel es auf, und man war beunruhigt, in der Zeitung war es ein Thema, die Ratsmitglieder stritten sich mit dem Parlamentsabgeordneten darüber. Deshalb hatte man die Nachbarschaftspolizei eingerichtet und ihre Leitung Gavin Rickerd übertragen. Er sollte die bekannten Unruhestifter beobachten und seine Erkenntnisse an andere Gemeinden weitergeben.
Selbst die Tatsache, dass das Polizeirevier direkt am Marktplatz lag, schien für die betrunkenen Rüpel keinen Unterschied zu machen. Jeden Samstag nach Schließung der Pubs randalierten sie und hinterließen eine Spur der Verwüstung, ganz zu schweigen von dem einen oder anderen blutenden Opfer. Geschäftsleute und Wirte aus dem Zentrum, die am Sonntagmorgen Erbrochenes wegschrubbten und Glasscherben zusammenfegten, waren für die Kirchgänger Eastvales ein vertrauter Anblick.
»Mandrax war ein starkes Beruhigungsmittel«, erklärte Banks. »Schlaftabletten, auch liebevoll >Mandies< genannt. Sind aber seit den Siebzigern nicht mehr auf dem Markt.«
»Wenn das Schlaftabletten waren«, sagte Annie, »warum schliefen die Leute damit nicht einfach ein?«
Banks trank einen großen Schluck Black Sheep, das einzige Glas, das er sich zugestand, bevor er zurück nach Gratly fuhr. »So war es eigentlich gedacht. Bloß wenn man sie zusammen mit Alkohol einnahm und die erste Müdigkeit überstand, sorgten sie für einen angenehmen, entspannten Dämmerzustand. Außerdem waren sie besonders gut für Sex. Ich nehme an, dass Robin Merchant deshalb nackt war.«
»Stimmt das denn?«
»Was?«
»Dass sie gut für Sex waren.«
»Keine Ahnung. Ich habe nur mal zwei Stück genommen und hatte damals keine Freundin. Bin eingepennt.«
Annie tätschelte Banks' Arm. »Armer Alan! Also war Merchant auf dem Weg zu einem Stelldichein, oder machte er nur einen postkoitalen Spaziergang?«
»Was steht in den Akten?«, fragte Banks.
»Sie schweigen sich zu dem Thema auffällig aus. Niemand gab zu, mit Merchant geschlafen zu haben. Wenn er natürlich die ganze Nacht im Wasser gelegen hatte, wäre es für den Pathologen schwer nachzuweisen gewesen, dass er vorher Sex hatte.«
»Mit wem ging Merchant damals?«
»Er hatte keine feste Freundin«, sagte Annie. »Keine Information über Robin Merchants sexuelle Gewohnheiten oder Präferenzen gelangte in die offiziellen Unterlagen.«
»Vielleicht erinnert sich dieser Enderby noch an etwas, falls Templeton ihn auftreiben kann.«
»Und wenn er schwul war?«, schlug Annie vor. »Zusammen in der Kiste mit Lord Jessop? Ich könnte mir vorstellen, dass sie so was vertuscht hätten.«
»Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Lord Jessop schwul war«, sagte Banks. »Angeblich hatte er es mit den Damen. Jedenfalls eine Zeitlang.«
»Und dann?«
»Wurde er heroinabhängig, obwohl er jahrelang damit klargekommen war. Das geht vielen so, wenn sie regelmäßigen, zuverlässigen Nachschub bekommen. Aber Heroin ist nicht gerade gut für die Libido. Am Ende infizierte er sich über eine Spritze mit Aids.«
»Man sollte meinen, dass er sich saubere Nadeln leisten konnte, oder? Als Lord und so?«
»Da war er längst pleite«, erklärte Banks. »Zum Ende hin war er wohl eher eine tragische Figur. Starb ganz allein. Die Freunde ließen ihn im Stich, auch seine Kumpel aus dem Rockgeschäft. Er hatte sein Erbe verjubelt und den Großteil seines Grundbesitzes verkauft. Swainsview Lodge wollte niemand haben, und er hatte keine Nachkommen. Alles andere hatte er längst versetzt.«
»Und da starb er, in Swainsview?«
»Ironischerweise, ja«, sagte Banks. »Das Haus hat eine traurige Geschichte.«
Schweigend dachten die beiden über den tieferen Sinn dieser Bemerkung nach, dann sagte Annie: »Sie verursachten also Orientierungslosigkeit und Müdigkeit, diese Mandies?«
»Ja. Ich meine, wenn Robin Merchant Mandies genommen und etwas getrunken hatte, kann er ohne weiteres das Gleichgewicht verloren haben. Ich nehme an, dass die Droge bereits wirkte, als er mit
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