Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
machte sich Rita auf ein Nicken ihres Mannes hin rar, murmelte etwas von Besorgungen und fuhr in dem grauen Mondeo davon. Mondeo-Frau also, dachte Banks. Enderby machte eine Bemerkung, was für eine wunderbare Gattin er habe. Banks stimmte ihm zu, weil es ihm höflich erschien.
»Ein schöner Ort für das Rentenalter«, bemerkte Banks. »Seit wann wohnen Sie hier?«
»Seit knapp zehn Jahren«, erwiderte Enderby. »Ich habe meine fünfundzwanzig Dienstjahre abgeleistet, ein paar mehr sogar. Am Ende war ich DI bei der Polizei South Yorkshire in Doncaster. Aber Rita hat immer davon geträumt, am Meer zu wohnen, und wir sind hier früher immer im Urlaub hingefahren.«
»Und Sie?«
»Nun, die Costa del Sol hätte mir ganz gut gefallen, aber die konnten wir uns nicht leisten. Außerdem will Rita das Land nicht verlassen. Das Ausland beginnt in Calais, man kennt das ja. Sie hat nicht mal einen Reisepass. Kaum zu glauben, was?«
»Wahrscheinlich hätte es Ihnen dort eh nicht gefallen«, sagte Banks. »Zu viele Ganoven.«
»Whitby ist schon in Ordnung«, sagte Enderby. »Und hier gibt's auch den einen oder anderen Ganoven. Aber auf diese verdammten Gruftis könnte ich verzichten, ehrlich.«
Banks wusste, dass Whitby wegen seiner engen Verbindung zu Bram Stokers Dracula eine Art Pilgerstätte für Satanisten war, aber soweit ihm bekannt war, waren es harmlose Jugendliche, die keinen Ärger machten. Und wenn sie sich lediglich schwarz kleiden und hin und wieder voneinander Blut trinken wollten, dann sollte es ihm recht sein. Die Sonne glitzerte auf dem Stück Nordsee zwischen den Häusern gegenüber. »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie einverstanden waren, mit mir zu sprechen«, sagte Banks.
»Kein Problem. Ich wüsste nur nicht, was ich noch beisteuern könnte, was Sie nicht bereits wissen. Es stand alles in den Akten.«
»Wenn Sie nur ein bisschen so sind wie ich«, sagte Banks, »dann haben Sie oft so ein Gefühl bei einer Sache, nennen Sie es Bauchgefühl oder sonst wie, das aber nicht in die Akten gehört. Oder einen persönlichen Eindruck, eine Beobachtung, die für den Fall selbst keine Bedeutung zu haben schien.«
»Es ist schon lange her«, sagte Enderby. »An so etwas würde ich mich heute wahrscheinlich nicht mehr erinnern.«
»Sie würden sich wundern«, sagte Banks. »Es war ein aufsehenerregender Fall, kann ich mir vorstellen. Interessante Zeit damals. Mit Rockstars und Adligen zu tun zu haben und so.«
»Sicher, das war schon spannend. Pink Floyd, The Who. Ich habe sie alle getroffen. Noch etwas Tee?«
Banks hielt seine Tasse hin, und Enderby schenkte nach. Sein goldener Ehering grub sich tief in seinen dicklichen, behaarten Finger.
»Sie waren damals wie alt?«, fragte Banks.
»1970? War im Mai gerade dreißig geworden.«
Das käme ungefähr hin, rechnete Banks. Mit dem gemütlichen Bauch eines Mannes, der seine Trägheit genießt, und seinem völlig kahlen Kopf sah Enderby durchaus wie Mitte sechzig aus. Das fehlende Haupthaar machte er wett durch einen dicken grauen Schnauzer. Ein zartes Muster geplatzter rosa Äderchen überzog Enderbys Wangen und Nase, aber Banks führte es eher auf hohen Blutdruck denn auf Alkohol zurück. Der alte Kollege benahm sich nichtt wie ein Trinker und sprach auch nicht so, und sein Atem roch nicht nach extrastarken Pfefferminzbonbons.
»Und, wie war das so, an dem Fall zu arbeiten?«, fragte Banks. »An was erinnern Sie sich am besten bei der Robin-Merchant-Ermittlung?«
Enderby verdrehte die Augen und schaute aus dem Fenster. »Es muss so gegen zehn Uhr gewesen sein, als wir an den Tatort kamen«, sagte er. »Es war so ein schöner Morgen, das weiß ich noch. Klare Luft. Warm. Singende Vögel. Und er trieb da im Swimmingpool.«
»Was war Ihr erster Eindruck?«
Enderby überlegte einen Moment, dann lachte er kurz auf und stellte die Tasse auf der Untertasse ab. »Wissen Sie, was das war?«, sagte er. »Das werden Sie nicht glauben! Er lag auf dem Rücken, nackt, ja? Und ich weiß noch, dass ich dachte, er hätte einen ganz schön kleinen Schwanz für einen berühmten Rockstar. Sie wissen schon, der ganze Kram, den man damals über Groupies und Orgien hörte. In den News of the World und so. Wir glaubten, die wären alle bestückt wie Hengste. Es wirkte einfach so unpassend, wie er da so verschrumpelt herumtrieb, wie ein Shrimps oder ein Seepferdchen oder so. Lag natürlich am Wasser.
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