Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Kelly Soames ist keine Prostituierte, und es geht hier nicht um ihr Sexualleben.«
»Wenn ich das sage, dann schon.«
»Ich habe mit Calvin Soames gesprochen«, mischte sich Banks ein.
Superintendent Gervaise sah ihn an. »Und?«
»Meiner Meinung nach hatte er keine Ahnung, was zwischen dem Opfer und seiner Tochter vor sich ging.«
»Ihrer Meinung nach?«
»Ja«, bestätigte Banks.
»Könnte er es nicht verheimlicht haben?«
»Könnte er schon«, gab Banks zu, »aber wenn wir annehmen, dass er es aus Zorn oder Empörung tat, dann hätte er sein Herz wohl mehr auf der Zunge getragen. Er hätte sich aufgeregt, als ich seine Tochter nach Barber fragte, aber das tat er nicht.«
»Haben Sie angedeutet, dass die beiden miteinander geschlafen haben?«
»Nein«, sagte Banks. »Ich habe Kelly nur nach ihrem Umgang mit Barber als Gast im Cross Keys gefragt. Ihr Vater sah uns zu, und ich habe ihn beobachtet und glaube, dass ich es an seinem Gesichtsausdruck, an seinem Verhalten oder an einer Äußerung gemerkt hätte, wenn er gewusst hätte, dass mehr dahinter steckt. Meiner Ansicht nach gehört er nicht zu der Sorte Mann, der daran gewöhnt ist, etwas zu verbergen.«
»Aber da war nichts?«
»Nein.«
»Sehr gut. Ich wäre allerdings stärker überzeugt, wenn ich seine Reaktion auf die Information sehen könnte, was seine Tochter so treibt.«
»Aber, Ma'am!«
»Es reicht, DI Cabbot. Ich möchte, dass Sie diese Ermittlungstheorie verfolgen, bis ich genau weiß, ob etwas dran ist oder nicht.«
»Dann wird es zu spät für Kelly Soames sein«, murmelte Annie vor sich hin.
»DS Templeton?«, fragte Banks. Templeton setzte sich auf.
»Sir?«
»Konnten Sie Detective Sergeant Enderby ausfindig machen?«
Templeton rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
»Ähm ... ja, Sir, habe ich.« Er schaute zu Superintendent Gervaise hinüber.
»Was ist denn?«, fragte sie.
»Nun ja, Ma'am«, sagte Templeton. »DCI Banks bat mich, den Detective ausfindig zu machen, der den Tod von Robin Merchant untersuchte.«
»Ist das der Drogenabhängige, der vor fünfunddreißig Jahren im Swimmingpool ertrank?«
»Ja, Ma’am, obwohl ich nicht überzeugt bin, dass er wirklich abhängig war. Genau genommen.«
Superintendent Gervaise seufzte demonstrativ, fuhr sich mit der Hand durch das stufig geschnittene blonde Haar und sah Banks an.
»Also gut, DCI Banks. Ich sehe, dass Sie auf Teufel komm raus diese Theorie verfolgen wollen, also gestehe ich Ihnen das fürs Erste zu. Ich habe Nachsicht mit Ihnen und ziehe in Erwägung, dass da etwas dran sein könnte. Aber DI Cabbot klemmt sich hinter die Familie Soames. Ist das klar?«
»Gut«, sagte Banks. Er wandte sich an Templeton: »Also, Ken, wo ist er?«
Bevor Templeton antwortete, warf er Superintendent Gervaise noch einen Blick zu. »Ähm ... er ist in Whitby, Sir.«
»Das ist aber praktisch, was?«, sagte Banks. »Ein Tag am Meer kommt mir sehr gelegen.«
Die Sonne kam wieder hervor, als Banks aus den North York Moors nach Whitby hinunterfuhr. Es war ein Anblick, der ihn immer bewegte, selbst bei trübstem Wetter. Heute war der Himmel milchig blau, und die Sonne schien auf die Ruinen der Abtei oben auf der Anhöhe und ließ die Nordsee jenseits der dunklen Kaimauer funkeln wie Diamanten.
Der pensionierte Detective Inspector Keith Enderby wohnte in West Cliff, sein Haus lag abseits der A174 Richtung Sandsend. Seine kieselverputzte Doppelhaushälfte aus den Fünfzigern hatte Meerblick, auch wenn es nur wenige Quadratmeter zwischen den Häusern gegenüber waren. Ansonsten war es ein unauffälliges Haus in einer unauffälligen Siedlung, dachte Banks, als er hinter dem grauen Mondeo in der Einfahrt parkte. War Enderby ein »Mondeo-Mann« geworden, wie eine bestimmte Sorte Briten der Mittelklasse in den Medien genannt wurde?
Am Telefon hatte Enderby anklingen lassen, dass er nicht ungern über den Robin-Merchant-Fall sprechen würde. Tatsächlich bat er Banks mit einem Lächeln und einem Handschlag ins Haus. Er stellte ihm seine Gattin Rita vor, eine kleine, stille Frau mit einem Kranz rosagrauer Haare. Rita bot Tee und Kaffee an, Banks entschied sich für Tee. Er wurde mit dem obligatorischen Teller Schokoladen- und Mürbekeksen sowie KitKat serviert, und Banks wurde mehrfach aufgefordert, sich zu bedienen. Das tat er. Nach einigen Höflichkeiten
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