Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
das, dachte Chadwick. Das würde erklären, warum die Tote nicht sofort vermisst worden war. Wie Carol gesagt hatte, die Skizze in der Zeitung war nicht besonders gut gewesen, und viele Leute schauten gar nicht in die Zeitung. »Wissen Sie vielleicht, was aus dem Vater oder dem Kind geworden ist?«
»Don läuft mir ab und zu mal über den Weg. Er ist seit ungefähr einem Jahr mit Pamela Davis zusammen. Ich glaube, die sind verlobt. Er arbeitet in einer Autowerkstatt in der Kirkstall Road, in der Nähe vom Viadukt. Ich erinnere mich, dass Linda davon sprach, das Baby zur Adoption freizugeben. Ich glaube nicht, dass sie es selbst aufziehen wollte.«
Die Mutter würde das wahrscheinlich wissen, aber eigentlich war es uninteressant. Wer auch immer Linda Lofthouse umgebracht hatte, ein zweijähriges Kind war es wohl kaum gewesen. »Gibt es sonst noch etwas, das Sie mir über Linda erzählen können?«, fragte er.
»Eigentlich nicht«, antwortete Carol. »Ich meine, ich weiß ja nicht, was Sie hören wollen. Sie war mal meine beste Freundin, aber wir haben uns auseinander gelebt, wie das so ist. Ich weiß nicht, was sie in den letzten zwei Jahren gemacht hat. Natürlich bin ich trotzdem traurig, weil sie umgebracht wurde. Das ist furchtbar. Wer tut so was?«
»Das versuchen wir herauszufinden«, sagte Chadwick so zuversichtlich wie möglich, fand aber, dass er nicht sehr überzeugend klang. Er erhob sich. »Vielen Dank für Ihre Auskunft und Ihre Zeit.«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie es herausgefunden haben?«
»Ich werde Sie benachrichtigen«, sagte Chadwick. »Bleiben Sie bitte bei Ihrem Kind. Ich finde allein zur Tür.«
»Was ist denn mit Ihnen los?«, fragte Cyril, der Besitzer des Queen's Arms, als Banks am Nachmittag ein Bitter Lemon mit Eis bestellte. »Anweisung vom Arzt?«
»Wohl eher Anweisung vom Boss«, grummelte Banks. »Wir haben' ne neue Chefin. Sie ist knallhart und hat anscheinend nicht nur vorne, sondern auch hinten Augen.«
»Von mir erfährt sie nix«, sagte Cyril. »Meine Lippen sind versiegelt.«
Banks lachte. »Danke, Kumpel. Vielleicht ein andermal.«
»Schlecht fürs Geschäft, eure neue Chefin.«
»Wir brauchen einfach ein bisschen Zeit.« Banks zwinkerte ihm zu. »Dann bekommen wir sie schon hin.«
Er begab sich an einen kupferbeschlagenen Tisch am Fenster und betrachtete missmutig den unappetitlichen Inhalt seines Glases. Der Aschenbecher war halb voll mit zerdrückten Filtern und Asche. Banks schob ihn so weit wie möglich von sich. Seit er selbst nicht mehr rauchte, verabscheute er den Geruch von Zigaretten immer mehr. Früher, als Raucher, war ihm das nie aufgefallen, aber wenn er jetzt aus dem Pub nach Hause kam, stanken seine Kleider so, dass er sie sofort in den Wäschekorb warf. Was an sich kein Problem war, wenn er bloß öfter dazu käme, seine Wäsche zu waschen.
Pünktlich um sechs Uhr traf Annie ein. Banks wusste, dass sie in Fordham gewesen war und mit Kelly Soames gesprochen hatte. Sie holte sich einen Orangensaft und gesellte sich zu ihm. »Mein Gott«, sagte sie, als sie Banks' Getränk erblickte. »Die müssen ja denken, wir wären alle auf Entzug.«
»Damit lägen sie gar nicht so falsch. Hattest du einen schönen Tag?«
»Nicht schlecht, würde ich sagen. Und du?«
Banks schwenkte die Flüssigkeit in seinem Glas. Eiswürfel klackerten gegen den Rand. »Ich hatte schon schönere. Komme gerade von der Obduktion.«
»Ach so.«
»Das war kein Spaziergang. Ist es ja nie. Selbst nach so vielen Jahren habe ich mich noch nicht dran gewöhnt.«
»Ja, kenne ich«, sagte Annie.
»Egal«, fuhr Banks fort, »wir waren ziemlich nah dran mit unseren anfänglichen Vermutungen. Nick Barber war gesundheitlich in gutem Allgemeinzustand, abgesehen davon, dass er mit einem Schürhaken mehrere Schläge auf den Hinterkopf bekam. Die Waffe passt zur Wunde. Dr. Glendenning sagt, dass er viermal geschlagen wurde, einmal im Stehen - davon stammen die meisten Blutspritzer - und dreimal, als er am Boden lag.«
Annie zog eine Augenbraue hoch. »Overkill?«
»Nicht unbedingt. Der Doc meint, es muss keine Affekthandlung gewesen sein, vielleicht wollte der Täter nur sicherstellen, dass sein Opfer auch wirklich tot war. Vermutlich hat er was vom Blut abbekommen, und das wird man nur schwer wieder los. Das hilft uns vielleicht vor Gericht, falls wir den Schuft jemals fassen. Auf jeden Fall
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