Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
nicht finden und nahm daher an, dass sie auf dem Weg nach Bayswater Terrace wäre. Ich bin ins Auto gestiegen und nach Hause gefahren. Es war schon vier Uhr, als ich losfuhr, so gegen neun kam ich hier an. Ich habe bis zwei Uhr geschlafen, bin dann los nach Dover und habe die Fähre nach Calais genommen.«
»Sie müssen müde gewesen sein.«
»Ging so.«
»Haben Sie keine Arbeit?«
»Im Moment gerade nicht. Ich arbeite als Aushilfe. Zufällig war ich in der Schule gut im Maschineschreiben. Inzwischen kann ich mir aussuchen, wann ich arbeite.«
»Aber was ist mit Ihrer Ausbildung? Sie sagten, Ihr Vater sei Professor. Er möchte doch bestimmt, dass Sie die Universität besuchen. Oder?«
Tania warf ihm einen erstaunten, fast mitleidigen Blick zu. »Was mein Vater möchte, ist uninteressant«, sagte sie. »Das ist mein Leben. Vielleicht gehe ich irgendwann zur Uni, aber nur, wenn ich das will, nicht weil jemand anders das für richtig hält.« Tania warf das Haar nach hinten und zündete sich eine neue Zigarette an.
Chadwick meinte, eine Maus durch die Küche huschen zu sehen.
Er erschauderte. Nicht dass Mäuse ihm Angst machten, aber die Vorstellung, mit ihnen unter einem Dach zu leben, fand er nicht gerade ansprechend. »Ich würde gerne mehr über Linda erfahren«, sagte er. »Ich habe gehört, sie arbeitete als Ladenmädchen?«
Tania lachte. »Ladenmädchen! Das hört sich total altmodisch und englisch an. Aber wahrscheinlich kann man das so sagen. Sie arbeitete bei Biba, aber sie wollte Modedesignerin werden. Sie war wirklich gut.«
»Machen die sich bei Biba keine Sorgen, wenn Linda nicht kommt?«
»Sie hatte sich eine Woche freigenommen.«
»Es gab also einen Plan?«
»Es gab verschiedene Möglichkeiten, mehr nicht. In St. Ives wohnen ein paar Leute, die Linda besuchen wollte. Eventuell wollte sie ein paar Tage in Leeds bleiben, ihre Freunde und ihre Mutter sehen und dann runter nach Cornwall. Ich weiß es nicht. Sie hatte auch eine Freundin auf Anglesey, die sie besuchen wollte. Was soll ich sagen? Linda war ein spontaner Mensch. Sie machte so was einfach. Deshalb habe ich mir auch keine Sorgen um sie gemacht. Außerdem glaubt man doch nicht ... ich meine, wir waren mit Leuten zusammen, die Frieden und Liebe und so was leben, da kommt man doch nicht auf die Idee ...« Tränen liefen Tania übers Gesicht. »Tut mir leid«, sagte sie. »Das ist einfach zu viel.«
Chadwick ließ ihr einige Minuten Zeit, um die Fassung zurückzugewinnen und die Tränen zu trocknen. Dann fragte er: »Als Linda aus dem Pressebereich in Richtung Wald ging, folgte ihr da jemand?«
Tania dachte kurz nach, zog an ihrer Zigarette und aschte. »Nein«, sagte sie.
»Ging sonst noch jemand zu der Zeit raus?«
»Nicht dass ich wüsste. Wir waren alle total aufgeregt wegen Led Zeppelin, wollten nach vorne vor die Bühne und so richtig abrocken.«
»Könnte sie sich mit jemandem verabredet haben? Könnten die Kopfschmerzen eine Ausrede gewesen sein?«
Tania sah Chadwick fassungslos an. »Warum sollte sie? Wenn sie jemanden hätte treffen wollen, hätte sie es gesagt. Verschlagenheit und Heimlichkeit waren nicht Lindas Art.«
Mannomann, dachte Chadwick, es war deutlich einfacher, mit normalen Leuten zu tun zu haben, die, ohne mit der Wimper zu zucken, logen und betrogen, als mit dieser Truppe, ihren hochtrabenden Idealen und selbstherrlichem Verhalten. »Hat sich jemand über Gebühr für sie interessiert?«, fragte er.
»Linda ist ein hübsches Mädchen. Natürlich wurde sie von Typen angesprochen, die einen guten Eindruck bei ihr machen und sie abschleppen wollten.«
»Aber keiner hatte Erfolg?«
Tania überlegte. »Seit längerer Zeit war Linda mit keinem mehr zusammen«' antwortete sie dann. »Hören Sie, ich habe gelesen, was über uns in der Zeitung steht. In der News of the World, in People und solchen Schundblättern. Wir werden als drogenabhängige, sexsüchtige Subkultur dargestellt, in der Orgien und Exzesse an der Tagesordnung sind. Vielleicht gibt es ein paar Leute, die so sind, aber Linda war ein sehr spiritueller Mensch. Sie interessierte sich für Buddhismus, die Kabbala, Yoga, Astrologie, Tarot, für alles Spirituelle, und manchmal war sie einfach ... nun ja ... Sex war nicht immer so wichtig für sie.«
»Und Drogen?«
»Ohne Belang. Ich will damit nicht sagen, dass sie nicht hin und wieder einen Joint
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