Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
habe.«
Tania schenkte ihm ein rätselhaftes Lächeln. »Verlassen Sie sich nicht darauf«, sagte sie. »Der äußere Schein kann trügen.«
* Donnerstag, 18. September 1969
Vielleicht waren die Gewürze in der Portobello Road der Auslöser - angeblich steht der Geruchssinn der Erinnerung am nächsten -, vielleicht aber auch der Film Die Luftschlacht um England, den Chadwick sich nach seinem Besuch bei Tania Hutchison ansah, auf jeden Fall kam alles wieder zurück, und er erwachte schweißgebadet um drei Uhr nachts in seinem Hotelbett. Er konnte die Bilder nicht als Traum abtun, da all das wirklich geschehen war, doch hatte er es so tief in seinem Unterbewusstsein vergraben, dass er, wenn es denn von Zeit zu Zeit hochkam, von derart lebendigen Bildern überfallen wurde, dass sie fast surreal wirkten.
Begraben unter zwei Leichen, den Sand von Gold Beach in Mund und Nase, die Luft erfüllt von Rauch und Feuer, peitschen Geschosse in den Sand, sickert Blut durch die Uniform, beim Sterben wimmert der Mann auf ihm, ruft nach seiner Mutter. Mit Taffy in Burma die Bunker stürmen. Taffy verwundet, seine herausquellenden Gedärme, er stolpert vorwärts ins Geschützfeuer, wirft sich in die Bunker der japanischen Soldaten, wohl wissend, dass er sterben wird, und reißt am Zünder der Handgranate. Menschenteile regnen auf Chadwick herab: ein Auge, Stücke vom Hirn, Blut und Gewebe.
Und so ging es weiter: ein Reigen bruchstückhafter Bilder aus dem Dschungel von Burma und von den Stränden der Normandie. In seinem Traum sah und hörte Chadwick es nicht nur, sondern roch alles erneut - Geschützfeuer, Qualm, Hitze -, und er schmeckte den Sand im Mund.
Er befürchtete, nicht mehr einschlafen zu können, und setzte sich auf, griff zu dem Glas Wasser auf dem Nachtschrank und trank es leer, dann stand er auf und füllte es nach. Bis zur Morgendämmerung waren es noch mehrere Stunden. Und das waren die schlimmsten Stunden, die Stunden, in denen seine Ängste überhandnahmen. Die einzige Lösung war, aufzustehen und sich abzulenken. Chadwick hatte nicht vor, zu dieser Nachtstunde in King's Cross herumzulaufen, und so knipste er die Nachttischlampe an, holte Alistair MacLeans Wilder Haufen von Navarone aus seiner Tasche und lehnte sich zum Lesen zurück. Als das schwache Glühen des Sonnenaufgangs sich von Osten über die Stadt ausbreitete, war ihm das Buch auf die Brust gefallen, und er schlief traumlos, tief und fest.
** 11
Banks wusste, dass man in einem Dorf wie Lyndgarth am ehesten etwas über einen Bewohner erfuhr, wenn man sich im Pub oder auf dem Postamt erkundigte. Im Fall von Vic Greaves war es Jean Murray im Postamt beziehungsweise Zeitungsladen, die Banks zum letzten Cottage links auf der Darlington Road dirigierte und ihm sagte, dass »Mr. Jones« dort nun schon seit einigen Jahren lebe, wirklich ein wenig sonderbar und nicht ganz richtig im Kopf sei, doch ansonsten einen ganz harmlosen Eindruck mache und seine Zeitung immer pünktlich bezahle. Er lebe sehr zurückgezogen, fügte sie hinzu, möge keinen Besuch. Sie hätte keine Ahnung, was er mit seiner Zeit anfinge, aber man hätte keine Klagen über ihn gehört. Ihre Tochter Susan erklärte, dass er nur selten Besuch habe, aber immer mal wieder Autos vorbeikommen würden. Sie konnte sie jedoch nicht näher beschreiben.
Banks ließ seinen Wagen auf dem Kopfsteinpflaster vor der Dorfwiese stehen. Es war wieder ein unangenehmer Tag mit Wind und Regen, zur Abwechslung nun von Osten, und die Steindächer der Häuser waren so dunkelgrün wie Moos. Nackte Äste zuckten über den Fernsehantennen, und dahinter spannte sich ein spülwassergrauer Himmel.
Oben rechts an der Dorfwiese, zwischen dem alten Hotel Burgundy und der gedrungenen, dunklen Methodistenkapelle, führte ein schmaler Weg zu einem bewaldeten Wildbach hinunter. Auf jeder Seite befand sich eine Reihe kleiner Cottages aus Kalkstein, in denen früher Knechte und Mägde untergebracht wurden. Kurz blieb Banks vor dem letzten auf der linken Seite stehen und lauschte. Er hörte kein Lebenszeichen, sah kein Licht. Die Vorhänge unten waren zugezogen, oben waren sie offen, die Fenster ebenfalls.
Nach gewisser Zeit klopfte er an der Tür.
Nichts geschah, deshalb klopfte er erneut, jetzt lauter.
Als er überzeugt war, dass niemand öffnen würde, ging die Tür auf, und vor ihm stand eine ängstlich wirkende Gestalt. Es war schwer zu sagen, ob es sich um
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