Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
Kinderlosigkeit und Enthaltsamkeit verurteilt zu sein? Verdammt noch mal, sie war erst einundzwanzig! Ich glaube, in dem Moment hätte ich ihn selbst gerne umgebracht, wenn ich gewusst hätte, wer es war.«
»Gab es irgendeinen Hinweis darauf, dass sie den Täter kannte?«, fragte Annie. »Vielleicht jemand, der die Party etwas früher verlassen hatte?«
»Die Polizei hat mich natürlich nicht in ihre Mutmaßungen eingeweiht, aber alle, die dabei waren, wurden in die Mangel genommen, auch alle Freunde von der Uni.«
Das war Standard, wie Annie vermutet hatte. Trotzdem war es möglich, dass den Kollegen von damals etwas entgangen war. »Haben Sie Kirsten nach Silvester noch einmal gesehen?«
»Ja, ein paar Mal noch. Aber so detailliert hat sie nie wieder davon erzählt. An einen Abend kann ich mich besonders gut erinnern«, fuhr Sarah fort. »Komisch, nicht, wie manches im Gedächtnis bleibt? Es war das erste Mal, dass Kirsty nach dem Übergriff wieder im Norden war. Über ein Jahr später. Sie war länger im Krankenhaus gewesen, dann hatte sie sich zu Hause bei ihren Eltern erholt. Jedenfalls wohnte ich damals in einem winzigen möblierten Zimmer - vorher hatte Kirsten da gewohnt -, und sie blieb eine Zeitlang bei mir. Ich glaube, das war im September 1989, kurz vor Semesterbeginn. Am ersten Abend tranken wir eine Menge, und sie sagte ein paar sehr seltsame Dinge. Sie machte mir ziemlich Angst.«
»Was für seltsame Dinge?«
»An die Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern, nur dass es wirklich unheimlich war. Sie redete von >Auge um Auge< und dass sie sich wie das Opfer eines Vampirs oder wie ein Aidskranker fühlen würde.«
»Aids?«
»Das meinte sie nicht wörtlich. Sie redete wirklich Blödsinn. Sie hatte kein Aids, jedenfalls nicht, soweit ich wusste. Nein, sie meinte das so, als hätte sie sich bei dem Vergewaltiger irgendwie angesteckt. Ich sagte, sie rede Blödsinn, und sie hielt den Mund. Das ist alles, was ich noch weiß. Aber mir ist es echt kalt den Rücken runtergelaufen. Trotzdem dachte ich, es wäre besser, alles rauszulassen, als es runterzuschlucken.«
»Kirsten sprach von Rache?«
»Auge um Auge, ja. Sie sagte noch einmal, wenn sie wüsste, wer es war, würde sie ihn umbringen.«
»Ließ sie irgendwie erkennen, dass sie es wusste?«
»Nein. Wie sollte sie auch?«
»Schon gut, weiter bitte.«
Sarah lachte nervös. »Es lag wirklich am Alkohol, dass sie so redete. Wir waren schon bei der zweiten Weinflasche. Jedenfalls lief es erst mal ganz normal weiter, und dann begann das Semester.«
»Das heißt, Kirsten wohnte die ganze Zeit bei Ihnen, als sie im September im Norden war?«
»Ja. Ich glaube sogar, bis Mitte Oktober.«
»Sie klingen nicht ganz überzeugt. Sind Sie sicher?«
Sarah wandte sich ab. »Das habe ich der Polizei gesagt.«
»Stimmt es denn nicht?«
Sie betrachtete ihre Fingernägel. »Nun ja, genau genommen, war sie manchmal da und dann wieder nicht.«
»Wie das?«
»Nun, sie war ein paar Tage Wandern in den Dales, ja?«
»Waren Sie dabei?«
»Nein. Sie wollte allein sein.«
»Wann war das genau?«
»Das weiß ich nicht mehr. Es ist schon so lange her. Aber ich glaube, im September. Kurz nachdem sie herkam.«
»Haben Sie das der Polizei erzählt?«
»Ich ... nein. Sie bat mich darum.«
»Haben Sie eine Vorstellung, warum?«
»Nein. Ich meine, sehen Sie, es tut mir leid, aber damals hatte ich keine besonders hohe Meinung von der Polizei. Krach mit den Bullen war das Letzte, was Kirsten gebrauchen konnte. Sie hatte genug gelitten.«
»Hatten Sie aus einem besonderen Grund etwas gegen die Polizei?«
Sarah zuckte mit den Achseln. »Ich war einfach radikal, mehr nicht, und eine Feministin. Für mich war die Polizei nur daran interessiert, archaische, von Männern gemachte Gesetze durchzusetzen und den Status quo zu erhalten.«
»So habe ich früher auch gedacht«, sagte Annie. »Sicher mag das damals eher zugetroffen haben als heute, aber es gibt immer noch ein paar Dinosaurier.«
»Ich kann bis heute nicht behaupten, dass mir die Polizei besonders lieb wäre«, sagte Sarah, »aber im Laufe der Jahre habe ich deutlich mehr Respekt bekommen und schere jetzt nicht mehr alles über einen Kamm wie damals. Ich praktiziere kein Strafrecht, aber auch auf meinem Gebiet habe ich ein paar sehr gute Polizeibeamte kennengelernt. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher