Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger

Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger

Titel: Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
Vom Netzwerk:
gehen und die Gelegenheit für einen Abstecher in die Nähe der Wärmequelle zu nutzen, stellte sich Amy hinter den geschnitzten, thronartigen Schreibtischstuhl. In der Mitte des Blattes, auf das Honoria gerade mit flacher Hand geschlagen hatte, war ein schwacher brauner Fleck sichtbar.
      »Ist denn das zu glauben?« empörte sie sich laut.
      »So etwas ist nicht selten«, erwiderte Amy. »Ich hatte mir mal einen Titel von Iris Murdoch ausgeliehen. Darin hatte doch jemand tatsächlich ihre Zeichensetzung durchgehend mit Kuli verbessert.«
      »Von den Benutzern öffentlicher Bibliotheken kann man eben nichts anderes erwarten. Was stehst du eigentlich hier rum?«
      Amy kehrte zu ihrem Stuhl zurück. Sie hatte ebenfalls Recherchen durchgeführt. Im Schutz der Zeitschrift Art  and Architecture; English Country Houses in the Eighteenth Century hatte sie Penny Vincenzis Old Sins verborgen. Bei der Lektüre versuchte sie Stil, die Konstruktion der Geschichte, die Beschreibung der Figuren und den Aufbau der Dialoge sorgfältig zu analysieren, um davon zu lernen.
      Natürlich hätte Amy lieber an ihrem eigenen Buch gearbeitet. Sie konnte es nie erwarten, endlich an ihrem Manuskript weiterzuschreiben. Ihr großes Problem war nur, daß sie meistens erst spät abends, wenn der Gute-Nacht-Trunk zubereitet und Honorias Wünsche zu deren Zufriedenheit erledigt waren, frei über ihre Zeit verfügen konnte. Oft hockte sie stundenlang mit Honoria im selben Zimmer oder hantierte in der eiskalten Küche herum, ohne daß die Schwägerin auch nur das Wort an sie richtete. In dem Augenblick allerdings, da sie den Versuch unternahm, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen, hagelte es Aufträge, und es mußte umgehend ein Stift gespitzt oder eine Tasse Tee eingeschenkt werden.
      Amy spähte über den Rand ihrer Lektüre auf die furchteinflößende Gestalt ihrer Schwägerin, erfaßte die bulligen Schultern und die steile Brüstung ihres Busens. Die Vorstellung, daß der Kopf des kleinen Ralph dort bequem geruht haben sollte, war ihr nahezu unbegreiflich. Und doch mußte es so gewesen sein. Davon zeugte jedenfalls ein Foto im ovalen Rahmen auf dem Waschtisch in Honorias Zimmer. Honoria trug darauf ein grell kariertes Kleid über gestärkten Unterröcken und Schuhe mit kleinen Absätzen. Schon damals war sie ein großes, dickes Kind mit muskulösen Schultern und Armen sowie einem kantigen Kinn gewesen. Trotzdem sah sie unendlich glücklich aus, wie sie da den kleinen Jungen hochhielt, die Arme durchgedrückt, den Kopf in den Nacken gelegt, und ihm vor Freude ins Gesicht lachte.
      Amy betrachtete das Bild häufig. Das Bewußtsein, daß Honoria Ralph in seiner Kindheit und Jugend liebevoll umsorgt hatte, machte das Leben in >Gresham House< für sie erträglicher. Es war ein Umsorgen gewesen, daß auch Opferbereitschaft verlangt hatte. Ralph hatte Amy erzählt, daß seine Schwester kurz vor ihrer Verlobung gestanden habe, als seine Eltern ums Leben gekommen waren. Der Auserwählte sei ein Farmer aus Hertford gewesen, der sich dann allerdings geweigert habe, den kleinen Bruder seiner Braut ebenfalls bei sich aufzunehmen, so daß die Beziehung beendet wurde. Amy fragte sich häufig, ob diese Geschichte der Wahrheit entsprach. Und das nicht nur, weil die Vorstellung so absurd schien, daß sich je jemand in Honoria verliebt haben könnte. Amy traute Honoria durchaus zu, eine solche Geschichte erfunden zu haben, um Ralph ein Leben lang mit Schuldgefühlen an sich zu binden.
      Aber wie konnte Honoria nur angenommen haben, sie könnte ihren Bruder bis ans Ende seiner Tage bemuttern? Das wäre doch völlig gegen dessen Naturell gewesen. Amy stellte sich den jungen, gutaussehenden Ralph vor, der von einem fröhlichen lebenslustigen Jungen zu einem mißmutigen ewigen Junggesellen mutierte, für den eine mürrische siebzehn Jahre ältere Schwester sorgte. Aber vielleicht wäre Honoria ja gar nicht so hart und unausstehlich geworden, wenn Ralph bei ihr geblieben wäre.
      Amy hatte sich damals aufrichtig gefreut, die einzige Verwandte ihres geliebten Mannes kennenzulernen; hatte von zahlreichen Besuchen in seinem Elternhaus geträumt, von Fotoalben, die sie gemeinsam betrachten würden, während Honoria Ralphs Lausbubenstreiche und kindliche Abenteuer zum besten gab ... Denn genau diese Szenen hatte Ralph so genossen, wenn sie bei Amys Eltern zu Besuch gewesen waren. Die Wirklichkeit allerdings hatte dann ganz anders ausgesehen. Honoria

Weitere Kostenlose Bücher