Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
Wandkarte hinter seinem Schreibtisch. Sie zeigte den Lageplan von Midsomer Worthy.
»Ich fürchte, all die Leute, die wir gegenwärtig befragen, wissen von Hadleigh nur das, was er bewußt ausgestreut hat. Wenn wir was wirklich Nützliches rausfinden möchten, müssen wir mit jemandem aus seiner Vergangenheit reden.«
Barnaby legte die Spitze seines Zeigefingers auf die Markierung, die die Lage von >Plover's Rest< bezeichnete, und dachte daran, wie der berühmte Schriftsteller, laut Mrs. Clapton, mit >aufheulendem Motor< davongerast war. Wo war dieser Mann jetzt?
Obwohl man bislang noch keine offizielle Suchmeldung rausgegeben hatte, war die sensationsträchtige Anwesenheit des Autors an dem Abend mit tödlichem Ausgang überall kolportiert worden. Der Chefinspektor hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß Jennings diese Berichte weder gelesen haben noch von jemand darauf aufmerksam gemacht worden sein sollte.
Weshalb also meldete er sich nicht? Die logische Antwort auf diese Frage lautete: >Weil er schuldig ist.< Aber es gab noch eine Alternative, und die war alles andere als beruhigend. Möglicherweise war es Jennings nicht möglich, sich bei der Polizei zu melden, weil er dazu gar nicht mehr in der Lage war. Mit anderen Worten: Suchten sie vielleicht gar nicht nach einem Hauptverdächtigen, sondern nach einem zweiten Opfer?
Sue saß nägelkauend in ihrem Wohnzimmer, dessen Wände noch von der heftig zugeschlagenen Haustür erzitterten. Sie war allein und sehnte sich danach, mit jemandem reden, jemandem von Rex und ihrer ungewöhnlichen Unterhaltung erzählen zu können.
Sie hatte endlose Versuche unternommen, Brian ins Vertrauen zu ziehen. Aber der hatte sich nach seiner Heimkehr so merkwürdig benommen, daß sie es aufgegeben hatte.
Nach dem Abendessen hatte er sich im Badezimmer in hektischer Eile mehrfach die Zähne geputzt und endlos den Mund gespült, bevor er in den ersten Stock verschwunden war.
Dann hörte sie, wie er oben Schubladen auf und zu zog und mit Kleiderbügeln klapperte. Nach einer Weile kam er mit einem Stapel Hemden über dem Arm wieder herunter und verschwand erneut im Badezimmer. Als er diesmal wiederauftauchte, hatte er das nasse Haar im Nacken zu einen Zopf geflochten, und seine Haut glänzte rosig nach frischer Rasur. Nachdem Brian zum wiederholten Mal auf die Uhr gesehen hatte, war er endlich aufs Sofa gesunken und hatte in seinem Theaterstück gelesen.
Die ganze Zeit über hatte Sue ihn umkreist und versucht, ein Gespräch anzufangen. Aber alle ihre Eröffnungen wie >Du errätst nie ... Du wirst es nicht glauben ... Das war vielleicht eine Überraschung ...< stießen auf absolutes Desinteresse.
Brian tat so, als sei sie Luft. Als er schließlich mit wehendem Schal auf dem Weg zur Haustür nicht mehr an ihr vorbeigekommen war, hatte er sie nur wortlos beiseite geschoben.
Auf ihre schüchterne Frage nach dem Grund der ganzen Hektik wurde sie mit der schroffen Antwort abgespeist: »Mußte eine zusätzliche Probe ansetzen. Sind kaum zwei Wochen bis zur Aufführung.«
Nachdem Brian das Haus verlassen hatte, war Sue allein. Mandy schlief bei den Großeltern, wo sie so lange aufbleiben und fernsehen durfte, wie sie wollte.
Sue wanderte rastlos umher, räumte hinter Brian auf. Kleidungsstücke lagen verstreut auf dem Schlafzimmerboden, und Pullover türmten sich auf dem Bett. Sie faltete sie zusammen und legte sie in ihrer ordentlichen Art wieder in die Fächer zurück. Als Fünfzehnjährige hatte sie nebenher in einem Textilgeschäft gejobbt und die dort erlernten Kunstgriffe nie vergessen.
Dann wischte sie das Badezimmer auf, in dem der Geruch von Brians Eau de Cologne hing, und warf drei klatschnasse Handtücher in die Waschmaschine. Schließlich kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und suchte nach neuen Tätigkeiten.
Eigentlich sah ihr das überhaupt nicht ähnlich. Normalerweise konnte sie es, sobald sie allein war, nicht erwarten, ihre Malsachen herauszuholen und sich mit Hector zu beschäftigen. An diesem Abend konnte sie sich jedoch einfach nicht konzentrieren. Dazu beschäftigten sie die Ereignisse des Tages viel zu sehr.
In solchen Situationen vermißte sie Amys Gegenwart am schmerzlichsten, gab es doch niemanden im Dorf, den sie Freund oder Freundin hätte nennen können. Natürlich kannte sie einige Mütter der Kinder ihrer Spielgruppe recht gut, aber das waren rein auf den Nachwuchs bezogene Beziehungen.
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