Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
eingefordert wurde. Er drehte sich nach einem Geräusch um. Einer der Feiernden war auf Deck gekommen und schickte sich an, über die Reling zu urinieren. Er seufzte.
»Warum nicht?«, sagte er. Und Rebus war drin.
Ein Typ lag weggetreten auf dem Deck, eine Champagnerflasche an die Brust gedrückt. Die Fliege hing ihm lose um den Hals; an seinem Handgelenk blinkte eine goldene Rolex. Der Gast, der das Albert Basin als sein Privatklosett benutzte, wippte auf den Fußballen vor und zurück. Er summte dazu den Refrain irgendeines Popsongs. Als er Rebus erblickte, lächelte er ihn strahlend an. Ohne ihn weiter zu beachten, stieg Rebus hinunter in die Hauptkabine. Sie war für eine Party eingerichtet: Stühle und Tische säumten eine lange schmale Tanzfläche. An dem einen Ende eine Bar, am anderen eine improvisierte Bühne. Eine Beleuchtungsanlage, über der Tanzfläche eine kreiselnde Glitzerkugel. An der Bar war ein Rollladen heruntergezogen und mit einem Vorhängeschloss gesichert worden, das ein weiterer Betrunkener mit einem Plastikzahnstocher zu knacken versuchte. Ein paar Tische lagen umgeworfen am Boden, ebenso ein knappes Dutzend Stühle. Der Fußboden war mit Kleidungsstücken, Kartoffelchips, Erdnüssen, leeren Flaschen und Resten von Sandwiches und zermatschter Quiche übersät. Das Zentrum des Geschehens stellten jetzt zwei Tische dar, die man zusammengeschoben hatte. Um die saßen vierzehn, fünfzehn Leute. Frauen hockten Männern auf dem Schoß und steckten ihnen die Zunge in den Hals. Zwei, drei Paare waren in gedämpfte Konversation vertieft. Ein, zwei Partnerlose schliefen tief und fest. Ein fünfköpfiger harter Kern - drei Männer, zwei Frauen - rekapitulierte nuschelnd die Höhepunkte des Abends: Anekdoten, die sich größtenteils um Saufen, Kotzen und Knutschen drehten.
»Hallo mal wieder«, begrüßte Rebus Ama Petrie. »Das ist Ihre Fete, stimmt's?«
Ihr Kopf lag auf der Schulter des jungen Mannes, der neben ihr saß. Ihre Mascara war zerlaufen, was ihr ein müdes Aussehen verlieh. Ihr kurzes Kleid war ein Wirrwarr aus schwarzem Tüll. Ihre nackten Füße lagen auf dem Schoß des Mannes, der ihr gegenübersaß. Er spielte mit ihren Zehen.
»O Herrgott«, sagte der Mann, die Augen halb zu, »jetzt schicken die schon die Schlägerbrigade. Hören Sie, guter Mann, wir haben für diesen Abend bezahlt - cash und im Voraus. Also sind Sie so gut und verpissen Sie sich und -«
»Oscar, du Arsch, das ist ein Polizist«, erklärte Ama Petrie. Dann, zu Rebus gewandt: »Freut mich, Sie wieder zu sehen.« Es war eine bedeutungslose stereotype Grußformel, doch ihr Blick sagte etwas ganz anderes, nämlich, dass sie alles andere als froh war, ihn zu sehen.
»Tja«, sagte Oscar mit einem Lächeln in die Runde, »in diesem Fall haben Sie uns in flagranti ertappt, Chef, aber schuld ist einzig und allein das System. Ich hab nie eine Chance gehabt.« Er schlüpfte mühelos in die Rolle, erntete dafür allseitiges Grinsen und Gelächter.
Rebus betrachtete sich die Gesichter ringsum: die Gesichter der reichen jungen Schnösel von Edinburgh. Sie hatten sicher allesamt eigene Wohnungen in der Neustadt, Geschenke allzu nachgiebiger Eltern. Sie veranstalteten ihre Partys und machten die Nächte durch. Bei Tag gingen sie vielleicht shoppen oder lunchen oder hörten sich ein paar Vorlesungen in der Uni an. Vielleicht brausten sie auch mit ihren Sportwagen hinaus aufs Land. Ihre Zukunft stand schon fest: ein Job in Papas Geschäft oder irgendwas »Organisiertes« - ein Pöstchen, das sie würden ausfüllen können, etwas, das ihnen lediglich ein wenig von ihrem angeborenen Charme und ein Minimum an Anstrengung abverlangte. Alles würde ihnen zu gegebener Zeit in den Schoß fallen - einfach weil die Welt eben so war.
»Jammerschade, dass er nicht in Uniform ist, was, Nicky?« »Was haben wir ausgefressen, Officer?«, fragte ein anderer Mann.
»Na ja, Sie sind dabei, die Geduld des Schiffseigners überzustrapazieren«, antwortete Rebus. »Aber das geht mich eigentlich nichts an. Dürfte ich fragen, wessen Party das ist?« Er sah dabei Ama an.
»Meine, um genau zu sein«, sagte der Mann mit dem Zahnstocher und wandte sich von der Bar ab. Er strich sich das dichte blonde Haar aus der Stirn. Ein schmales Gesicht, weiche Züge. »Ich bin Nicol Petrie, Amas Bruder.« Rebus vermutete, dass das »Nicky« war. Jammerschade, dass er nicht in Uniform ist, was, Nicky?
Er war Anfang zwanzig, modisch unrasiert, so dass sein
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