Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
zuversichtlich, dass er auch einen finden würde. Trotzdem wollte er wirklich, ehrlich wissen, warum Jim es getan hatte - etwas, was Rebus selbst schon mehr als einmal in Gedanken durchgespielt hatte: den Sprung zu wagen. In Leith empfing ihn ein misstrauischer Detective Inspector Bobby Hogan.
»Ich weiß, dass ich Ihnen ein, zwei Gefallen schuldig bin, John«, begann Hogan. »Aber hätten Sie was dagegen, mir zu verraten, worum's hier eigentlich geht? Margolies war ein guter Mann, wir vermissen ihn wirklich.«
Sie gingen durch die Wache zum CID-Büro. Hogan war ein paar Jahre jünger als Rebus, aber schon länger als er bei der Polizei. Er hätte bereits jetzt in den Ruhestand gehen können, aber Rebus bezweifelte, dass er das jemals freiwillig tun würde.
»Ich kannte ihn auch«, sagte Rebus. »Wahrscheinlich stelle ich mir einfach nur die gleiche Frage wie Sie alle hier.«
»Sie meinen, ›warum‹?«
Rebus nickte. »Er war auf dem direkten Weg nach ganz oben, Bobby. Alle wussten das.«
»Vielleicht ist ihm schwindlig geworden.« Hogan schüttelte den Kopf. »Die Notizen werden Ihnen absolut gar nichts verraten, John.« Sie waren vor einem Vernehmungsraum stehen geblieben.
»Ich muss sie einfach sehen, Bobby.«
Hogan starrte ihn an, nickte dann langsam. »Damit sind wir aber quitt, Kumpel.«
Rebus legte ihm eine Hand auf die Schulter, betrat das Zimmer. Der braune Aktendeckel lag auf dem ansonsten leeren Tisch. Sonst standen nur noch zwei Stühle herum.
»Ich dachte, Sie hätten's vielleicht gern ein bisschen ruhig«, sagte Hogan. »Hören Sie, sollte sich irgendjemand wundern...«
»Meine Lippen sind versiegelt, Bobby.« Rebus hatte sich schon hingesetzt. Er blätterte die Akte durch. »Das wird nicht lange dauern.«
Hogan holte ihm eine Tasse Kaffee, dann ließ er ihn allein. Rebus brauchte exakt zwanzig Minuten, um das gesamte Material zu sichten: vorläufigen und endgültigen Bericht, dazu Jim Margolies' Geschichte. Zwanzig Minuten waren nicht viel für eine Vita. Natürlich gab es über sein Privatleben nur wenig. Man konnte an After-Work-Drinks, Zigarettenpausen und Gespräche am Kaffeeautomaten irgendwelche Vermutungen knüpfen. Die nackten Tatsachen aber, so, wie sie schwarz auf weiß standen, gaben überhaupt nichts her. Margolies' Vater war Arzt, mittlerweile im Ruhestand. Aufgewachsen in einem angenehmen Milieu. Die Schwester, die als Teenager Selbstmord begangen hatte. Rebus fragte sich, ob der Gedanke an den Tod der Schwester Jim Margolies all die Jahre lang verfolgt hatte. Darren Rough wurde mit keinem Wort erwähnt, ebenso wenig Margolies' kurzes Gastspiel in St. Leonard's. Seine letzte Nacht auf der Welt. Jim war bei Freunden zum Essen eingeladen gewesen. Nichts Ungewöhnliches. Anschließend aber war er mitten in der Nacht aufgestanden, hatte sich wieder angezogen und einen Spaziergang durch den Regen gemacht. Bis zum Holyrood Park...
»Was gefunden?«, fragte Bobby Hogan.
»Nicht die Bohne«, gestand Rebus und klappte den Aktendeckel zu. Ein Spaziergang durch den Regen... Ein langer Spaziergang, vom Grange bis zu den Salisbury Crags. Zeugen, die ihn unterwegs gesehen hatten, gab es keine. Man hatte Erkundigungen eingezogen, Taxifahrer befragt. Mehr oder weniger der Form halber: Bei Selbstmorden buddelte man lieber nicht zu gründlich. Manchmal stieß man auf Dinge, die besser unentdeckt geblieben wären.
Rebus fuhr zurück in die Stadt, stellte den Wagen auf dem Parkplatz hinter St. Leonard's ab und ging hinein. Er klopfte an Farmer Watsons Tür, trat, dazu aufgefordert, ein. Watson wirkte, als habe der Tag für ihn schlecht begonnen.
»Wo sind Sie gewesen?«
»Ich hatte was in der Abteilung D zu tun, wollte mir die Margolies-Akte ansehen.« Rebus sah dem Farmer eine Weile dabei zu, wie er, einen Becher Kaffee in beiden Händen, hinter seinem Schreibtisch auf und ab ging. »Haben Sie mit Andy Davies gesprochen, Sir?«
»Mit wem?«
»Andy Davies. Darren Roughs Sozialhelfer.« Der Farmer nickte.
»Und, Sir?«
»Er meinte, ich sollte mich mit seinem Chef unterhalten.«
»Und was hat sein Chef gesagt?«
Der Farmer fuhr herum. »Herrgott, John, lassen Sie mir ein bisschen Zeit, okay? Ich muss mich mit mehr herumschlagen als mit Ihren kleinen...« Er atmete aus, ließ die Schultern hängen. Dann brummelte er eine Entschuldigung in sich hinein.
»Kein Problem, Sir. Dann will ich mal...« Rebus ging in Richtung Tür.
»Setzen Sie sich!«, befahl der Farmer. »Wo Sie schon hier
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