Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Ein Applaus für Molly!«
Die Mutter tätschelte der Tochter die Schulter, und mit zögernden Schritten stieg Molly die drei Holzstufen zur Bühne hinauf. Der Showmaster ging mit gezücktem Mikrofon in die Hocke. Sonnenbräune aus der Tube und Föhnwelle - oder vielleicht war Rebus auch nur neidisch. Die Preisrichter saßen in der ersten Reihe und versuchten, ihre Stimmzettel vor neugierigen Augen zu verbergen.
»Und wie alt bist du, Molly?«
»Siebendreiviertel.«
»Siebendreiviertel? Bist du auch sicher, dass es nicht siebenachtel sind?« Der Showmaster lächelte, aber Molly war schon in Panik geraten, wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. »Schon gut, Schätzchen«, fuhr der Showmaster fort. »Erzähl uns also was über das wunderschöne Kleid, das du da anhast.«
Rebus sah sich um. Make-up auf Gesichtern, die dazu noch nicht alt genug waren, so dass die Mädchen wie Clowns wirkten. Zappelige, gespannt und erwartungsvoll dreinschauende Mütter, ebenfalls geschminkt und farbenfroh gekleidet. Etliche von ihnen hatten gefärbte Haare und einige wahrscheinlich schon unterm Messer gelegen. Niemand schenkte Rebus und Janice die geringste Beachtung. Es gab jede Menge Paare. Aber das war eine Mutter- Tochter-Show, da bestand gar kein Zweifel.
Keine Spur von Ama Petrie. Er konnte sich ohnehin nicht vorstellen, was sie hier gewollt hätte. Die Stimme am Telefon hatte keine Zeit gehabt, nähere Erklärungen abzugeben. Dann sah er zwei Gestalten, die er wieder erkannte. Hannah Margolies, mit langen blonden Haaren, die ihr weit über die Schultern wallten. Beim Begräbnis ihres Vaters hatte sie weiße Spitze getragen. Heute steckte sie in einem blassblauen Kleidchen mit weißen Strumpfhosen und blanken roten Schuhen. Sie hatte blaue Schleifen im Haar, und ihr Mund war ein glänzender purpurroter Knopf. Ihre Mutter, Katherine Margolies, kniete vor ihr und gab ihr letzte Instruktionen. Hannah wandte kein Auge von ihrer Mutter, nickte ab und zu leicht. Katherine umfasste die Hände des Kindes und drückte sie, dann stand sie auf.
Jim Margolies' Witwe hatte auf der Beerdigung gefasst gewirkt; jetzt sah sie schon nervöser aus. Sie trug noch immer Schwarz - Rock und Jacke über einer weißen Seidenbluse. Sie sah auf die Bühne, wo Molly zu einer Begleitung vom Band »Sailor« sang, einen Song, den Rebus mit Petula Clark in Verbindung brachte. Janice, die einen Sitzplatz am Ende einer Reihe gefunden hatte, drehte sich um und warf Rebus einen ungläubigen Blick zu. Als er ihn wieder auf Hannah richtete, bemerkte er, dass Katherine Margolies ihn musterte, als versuchte sie, ihn einzuordnen. Molly beendete ihren Auftritt und nahm den Beifall mit einem Knicks entgegen. Sie huschte recht gekonnt von der Bühne und entblößte mit einem breiten Lächeln weit auseinander stehende Zähne.
»Unsere nächste Kandidatin«, verkündete der Showmaster derweil, »ist Hannah, die direkt hier in Edinburgh wohnt...«
Sobald Hannah die Bühne betreten hatte, schlenderte Rebus hinüber zu ihrer Mutter.
»Hallo, Mrs. Margolies.«
Sie legte sich den Finger an die Lippen, ganz auf die Bühne konzentriert. Während sie Hannahs Auftritt verfolgte, presste sie die Hände wie zum Gebet zusammen, und als der Showmaster dem Kind eine offenbar schwierige Frage stellte, verzog sich ihr Mund. Schließlich griff sie in eine ihrer Tragetaschen, holte eine Blockflöte heraus und ging damit zur Bühne; lächelnd reichte sie ihrer Tochter das Instrument. Ohne jede Begleitung spielte Hannah ein Stück, von dem Rebus vermutete, dass es was Klassisches sei. Er hatte es schon mal in einem Werbespot gehört, kam aber beim besten Willen nicht darauf, wofür der Spot gewesen sein mochte. Als er sich wieder zu Janice wandte, sah er, dass neben ihr ein älteres Paar saß, das in Richtung Bühne strahlte. Die Eheleute hielten sich bei der Hand. Der Mann umfasste mit der freien Hand einen Gehstock. Rebus erkannte die beiden wieder: Jim Margolies' Eltern.
Endlich: Applaus, und Hannah kam zu ihrer Mutter zurück, die sie auf den Scheitel küsste.
»Du warst perfekt«, sagte Katherine Margolies. »Einfach perfekt.«
»Ich hab einen falschen Ton gespielt.«
»Ich hab ihn nicht gehört.«
Hannah wandte sich zu Rebus. »Haben Sie ihn gehört?« Rebus schüttelte den Kopf. »Für mich klang es einwandfrei.« Hannahs Gesicht entspannte sich ein wenig. Sie flüsterte ihrer Mutter etwas zu.
»Na, dann lauf zu.«
Während Hannah zu ihren Großeltern ging, stand
Weitere Kostenlose Bücher