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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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das ist heutzutage nicht merkwürdig, sondern normal.« Sie zögerte. »Na ja, etwas war da noch, auch wenn ich nicht recht weiß, ob man es als merkwürdig bezeichnen könnte.«
    »Überlassen Sie das mir«, erwiderte Damon.
    »Es war genau an dem Tag, nachdem dieser Mensch den Graben wieder aufgefüllt hatte. Die erste Mrs. Tredown – sie nennt sich Claudia Ricardo, aber so eine Person würde sich ja jeden Namen geben – kam mit ihrem Hund quer über Grimble’s Field gelaufen. Damals hatte sie ein Schoßhündchen. Inzwischen ist das Tier tot, aber niemand hat ihm auch nur eine Träne nachgeweint. Also, sie ist damit über das Grundstück spaziert, und als sie zu dem ehemaligen Graben kam – da war so ein Strich nackte Erde, wenn sie verstehen, was ich meine –, ist sie nicht darübergelaufen, sondern ganz außen herumgegangen, bis hinunter zum Bungalow und auf der anderen Seite wieder herauf, als wollte sie diesen Fleck Erde meiden. Nachdem sie weg war, bin ich hinübergegangen, aber ich konnte nicht erkennen, weshalb irgendjemand darum herumgehen sollte.«
    »Haben Sie während Ihrer Zeit in Flagford Hall von irgendeinem Vermissten gehört? Dass jemand verschwunden wäre?«
    »Nur dieser geistig zurückgebliebene Mann. Wie hieß er doch gleich? Cummings? Wissen Sie, er war ein Simpel. Fast schon der Dorftrottel.«
    Dieser Ausdruck schockierte Damon mehr, als ein Schwallobszöner Bemerkungen aus Mrs. McNeils Mund es hätte tun können. Unwillkürlich stieß er einen Laut aus, der wie ein empörtes »Au« klang. Ihr nächster Satz war der freundlichste, den sie im Verlauf dieser Befragung von sich gegeben hatte: »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch, alles in Ordnung.« Er versuchte zu lächeln. »Vielen Dank, Mrs. McNeil, Sie haben uns sehr geholfen.«
    Während sie ihn auf tatterigen Beinen zur Haustür begleitete, drehte sie sich um, musterte ihn und meinte: »Sie sprechen ausgezeichnet Englisch. Aus welcher Ecke der Welt stammen Sie?«
    An diese Frage hatte sich Damon inzwischen schon einigermaßen gewöhnt. Damit wurde er ständig konfrontiert. »Aus Bermondsey«, erwiderte er.
    Der Wohnsitz von John und Kathleen Grimble in der Oswald Road Nr. 5 oder, besser gesagt, das Wohnzimmer dieses Hauses, war mit so ziemlich allen lebensnotwendigen Gegenständen ausstaffiert: Sitzobjekte, Sachen zum Anschauen und Anhören, Wärmequellen, Kälteschutz, Wandverkleidungen und Bodenbeläge. Ansonsten gab es nichts, was die Blicke anzog oder das Innere Auge erheiterte, keinerlei Anregungen, nichts Erfreuliches. Die vorherrschende Farbe war Beige. An den nackten Wänden hing nur ein Kalender mit Motiven von englischen Industrieanlagen im 21. Jahrhundert. Keine Bücher, keine einzige Zeitschrift, keinerlei Blumen oder andere Pflanzen, nur ein kleiner blassblauer Kaktus in einem beigen Topf, keine Kissen, weder auf den düsteren Sesseln mit den pflegeleichten hölzernen Armlehnen noch auf der Couch, ein beiger Teppichboden, keine Teppiche. Dafür eine Digitaluhr mit grellgrün flackernden Großziffern.
    John Grimble hockte vor dem laufenden Fernseher, als seine Frau Wexford und Hannah hereinbrachte. Der Film zeigte gerade eine heiße Liebesszene, die stumm ablief, da der Ton ausgeschaltet war. Kathleen Grimble nahm ihren Platz in dem zweiten orthopädischen Sessel ein, als hätte eine höhere Macht genau diese Positionen und diesen Blick auf den Bildschirm verordnet. Allerdings griff sie diesmal zu dem Strickzeug, das sie auf der Sitzfläche liegen gelassen hatte, und begann wie ein Automat heftig mit Nadeln und scharlachroter Wolle zu hantieren, wobei sie völlig ungerührt das umschlungen dastehende Paar betrachtete. Wie Madame Defarge, dachte Wexford. Er konnte sie sich auf den Stufen der Guillotine vorstellen, wie sie bei jedem Geköpften ihr »Ach, John, nicht doch« murmelte.
    »Mr. Grimble, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns Ihre Aufmerksamkeit schenken würden«, sagte er. »Wir müssen Ihnen einige sehr wichtige Fragen stellen.«
    Gereizt drehte sich Grimble zu ihm. »Noch fünf Minuten, ja? Dann bin ich ganz Ohr.«
    »Bitte, schalten Sie aus«, sagte Wexford, »sonst mache ich es.«
    In dem Moment packte der Schauspieler auf dem Bildschirm ein Messer, das auf dem Nachtschränkchen lag, und rammte es seiner Partnerin in den gestreckten Hals. Daraufhin übernahm Mrs. Grimble das Kommando und meinte ruhig: »Jetzt reicht es aber. So etwas schau ich mir nicht an.« Sie schnappte sich die Fernbedienung und

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