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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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zurechtkam.
    «Bestens», sagte Jury. «Ein netter Bursche.»
    «Das hat noch keiner behauptet», sagte Neal und legte auf.
    Jury ging zum Tisch zurück und wollte zu seinem Mantel greifen. «Ich würde gern noch länger mit Ihnen zusammenhocken, aber wir haben zwei Morde am Hals.»
    «Einer gehört mir. Nicht so raffgierig, Jury.»
    «Einer gehört Ihnen. Hätte ich fast vergessen. Sie können gern hier sitzenbleiben, sich die Nacht um die Ohren schlagen und Freddie anbrüllen. Ich für mein Teil fahre zurück nach Dorchester.»
    «Mein Gott, Sie haben aber Hummeln im Hintern. Setzen Sie sich und halten Sie den Mund. Meinen Sie vielleicht, ich bin wegen der viktorianischen Pracht dieser Kakerlaken-Kaschemme hier? Warum zum Teufel habe ich Ihnen wohl von dem Fall Mulvanney erzählt?»
    «Vielleicht eine Art Besessenheit?»
    Auf diese Provokation biß Macalvie nicht an. «Weil ich sicher bin, daß es eine Verbindung gibt.»
    «Was für eine Verbindung?» fragte Jury.
    In diesem Moment ging die Tür zum «Verirrten Wandersmann» hinter ihnen auf und fiel wieder zu.
    «Möglicherweise ist die Verbindung gerade hereinspaziert», entgegnete Macalvie. Er hörte sich traurig an.

5
    J URY HÄTTE DIE BLEICHE G ESICHTSFARBE von Häftlingen überall als solche erkannt, schließlich hatte er sie oft genug gesehen. Es war nicht einfach der blasse Teint von Menschen, die selten Sonne bekamen. Es sah eher so aus, als hätte jemand zum Pinsel gegriffen und alle Gefühle – Verzweiflung, Verlassenheit, was auch immer – mit einem kränklichen Grauweiß zu übertünchen versucht. Das blasse Gesicht, das soeben im Pub aufgetaucht war, wirkte durch die schwarze Kleidung noch blasser: baumwollene Arbeitshose, Rollkragenpullover, Parka. Das dunkle Haar und die dunklen Augen verstärkten diesen Eindruck noch. Der Mann war groß, dünn, sah eigentlich gut aus, obwohl ihm die Trauer über neunzehn verlorene Jahre ins Gesicht geschrieben stand.
    «Hallo, Sam», sagte Macalvie.
    «Ich habe schon überlegt, wem das Auto gehört. Hätte ich mir ja eigentlich denken können.»
    Freddie kam aus einem Hinterzimmer geschossen, als hätte ihr eine Antenne endlich einen willkommenen Besucher gemeldet. «Sammy!» Sie warf sich ihm so stürmisch an die Brust, daß Jury sich darüber wunderte, keine Knochen splittern zu hören. Sie trat einen Schritt zurück, sah Macalvie giftig an und fragte: «Wie geht’s denn so, Sammy?»
    «Gut, Freddie. Ich warte nur, daß die Luft hier rein ist.»
    Macalvie grinste. «Ich weiß. Hab schon dafür gesorgt. Setzen Sie sich, Sammy.» Er schob ihm mit dem Fuß einen Stuhl zu. Und als wäre er mit Freddie ein Herz und eine Seele, sagte er zu ihr: «Bring dem Mann einen Cider und leg Elvis auf. Aber nicht den ‹Jailhouse Rock›, okay? Sonst breche ich dir alle Knochen. Wo haben Sie gesteckt, Sam? Sie sind doch schon vor vier Tagen entlassen worden.»
    «Sind Sie hinter mir her, Inspector? Aber diese Anrede tut es ja wohl nicht mehr. Sie dürften inzwischen Chief Constable sein, oder?»
    «Fast. Noch bin ich Commander. Oder Chief Superintendent.»
    «Worüber sind Sie denn gestolpert?» fragte Sam, als Freddie sein Glas vor ihm hinstellte. «Doch hoffentlich nicht über mich?» Sein Lächeln war traurig.
    «Wer soll hier gestolpert sein? Denken Sie etwa, ich bin ehrgeizig?»
    Sam Waterhouse lachte so herzlich, daß Freddie wieder aus ihrem Loch kam, um nach dem Rechten zu sehen. Sie verschwand aber gleich wieder.
    «Erzählen Sie mal, was haben Sie denn die ganze Zeit getrieben?»
    «Mir Dartmoor angesehen. In einer alten Zinnmine oder in den Felsen übernachtet. Ich mag das Moor. Dieser aufsteigende Nebel, in dem die ganze gottverdammte Welt verschwindet. Sind Sie schon mal oben auf dem Hundefelsen gewesen? Wirklich schön. An klaren Tagen kann man Exeter und das ganze Polizeipräsidium sehen. Warum geben Sie nicht auf, Macalvie?»
    «Kürzlich mal in die Zeitung geguckt, Sam?»
    Sam Waterhouse rutschte auf seinem Stuhl hin und her und trank fast das halbe Glas aus. «Klar. In ganz Dartmoor ist kein Entkommen vor den Zeitungsjungen des Telegraph .»
    «Dann wissen Sie Bescheid», sagte Macalvie. «Haben Sie noch andere Touristen getroffen?»
    Irgendwie konnte Jury verstehen, warum Sam Waterhouse so wütend war. Wenn man in einem Hochsicherheitstrakt war, weil jemand einem etwas angehängt hatte … Aber es war schließlich Macalvie, der immer an Sams Unschuld geglaubt hatte und der wie ein Irrer gearbeitet hatte, um

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