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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Lager, die selbst mir neu waren; muß eine piekfeine Schule gewesen sein, auf die sie ging. So wütend habe ich in meinem ganzen Leben noch niemand gesehen.»
    «Warum auf Sie? Wo Sie doch derjenige waren, der sich noch mit dem Fall beschäftigte und die ganze Arbeit machte.»
    «Was für sie bedeutete, daß ich der Verantwortliche war. Sie wußte, daß Sam Waterhouse nicht der Mörder war. Und angebrüllt hat sie mich, wobei sie mit einer anmutigen Bewegung ihres Arms meinen ganzen Schreibtisch abgeräumt hat: ‹Es ist meine Mami, die umgebracht wurde, und meine kleine Schwester, die im Krankenhaus ist. Und Sie setzen jetzt gefälligst Ihren Arsch in Bewegung und finden heraus, wer der Mörder ist, oder soll ich mich vielleicht darum kümmern?!› Mein Gott, war das Gör wütend!»
    Aber Macalvie hatte sich nicht seine gute Laune verderben lassen und einfach gelächelt. Wahrscheinlich war er erleichtert gewesen, daß es jemanden gab, der keine Angst vor ihm hatte, wenn es auch nur ein klapperdürres junges Mädchen war.
    «Und dann ist sie rausgestürmt. Ich habe sie nie wieder gesehen. Der einzige Fall, den ich nie habe aufklären können.»
    Jury sollte denken, daß Macalvie wegen dieser Geschichte so betrübt war. Aber Jury war überzeugt davon, daß das nicht stimmte.
     
     
    S IE HATTEN EIN PAAR M INUTEN still dagesessen, eine kleine Insel der Stille, denn die Stammkundschaft genoß den Klang der wunderbaren Stimme von Loretta Lynn. Leider übertönte Freddie die Bergmannstochter, sie stand hinter der Theke, trocknete Gläser ab, und auch sie sang, daß sie einst am Brunnen Wasser geholt hatte.
    Macalvie schrie zu ihr hinüber: «Das letzte Mal, daß du was anderes als Schnaps gesoffen hast, das war, als man dich ins Cranmere-Moor geschmissen hat.»
    «Was ist mit der Kleinen, mit Teresa?»
    «Was soll mit ihr sein?»
    «Falls Sie recht –»
    Hochgezogene Brauen. Was hieß hier falls ?
    «Warum zum Teufel hat der Mörder einen Zeugen zurückgelassen?»
    Daß seine Theorie hier brüchig war, schien Macalvie überhaupt nicht zu stören. Eine brüchige Theorie war ebenso reparabel wie ein gebrochener Deich. «Vielleicht dachte der Kerl, Teresa würde ihn nicht mit ihrer Mutter in Verbindung bringen. Vielleicht hat Teresa ihn überhaupt nicht gesehen. Sie kannte seinen Namen nicht oder war aus tausenderlei anderen guten Gründen nicht in der Lage, mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Und Verbrechen aus Leidenschaft hin oder her, vielleicht hat er es dann doch nicht übers Herz gebracht, auch noch eine Fünfjährige umzubringen.»
    «Und die Fünfjährige? Könnte sie vielleicht mit einem Messer auf ihre Mami losgegangen sein? Haben Sie auch darüber nachgedacht?»
    Der Blick, den Macalvie Jury zuwarf, hätte ihn töten können. «Nein, ich mache grundsätzlich halbe Sachen, Jury. Ich bin ein schlampiger Polyp. Ich habe auch nicht die Blutspur gesehen, die sie auf dem Weg von der Küche zum Telefon hinterlassen hat, und das Blut auf ihrem Nachthemd und am Telefon ebensowenig –» Er machte eine abweisende Geste. «Spielen Sie nicht den Klugscheißer, ja? Klar können kleine Kinder ausrasten. Aber nicht Teresa.» Nach einer kurzen Pause sagte er: «Ich habe sie im Krankenhaus besucht. Es war klar, zumindest waren sich die Seelenheinis in ihrem Elfenbeinturm darüber einig, daß Teresa nie wieder gesund werden würde. Persönlichkeitsspaltung. Katatonikerin. Hatte sich zusammengerollt wie ein Fötus. Am Ende hat man Teresa dann nach Harbrick Hall verlegt. Schon mal davon gehört? Wird auch ‹Heartbreak Hall› genannt.»
    Jury hatte davon gehört, wobei diese Anstalt zu den Dingen gehörte, von denen er lieber nicht gehört hätte. «Ich bin mal dagewesen.»
    «Und? Fast geheilt?»
    Jury überhörte die spitze Bemerkung, er mußte an Harbrick Hall denken. Immer diese vertrauenerweckenden, harmlos anmutenden Namen, die nicht verrieten, wie es in den riesigen, unterbesetzten, überfüllten Krankenhäusern tatsächlich zuging. Endlose Flure, verriegelte Türen, Gitter. Säuerlicher Krankenhausgeruch, nach Urin, und graubemantelte Hausmeister mit Eimer und Scheuertuch auf Fluren, in denen eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit herrschte, die einen schier erdrückte.
    Macalvie fuhr fort. «Das Ding ist so groß, daß man sich sogar auf der Suche nach dem Ausgang garantiert verirrt. Es ging Teresa Mulvanney dann angeblich etwas besser, gesprochen hat sie noch immer nicht. Aber wenigstens lag sie nicht mehr

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