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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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sah sich um – «Ehrenwerten Henry Allan-Ashcroft ermordet.»
    Henry hatte die Schnauze auf die Pfoten gelegt und warf ihr einen schläfrigen Blick zu, nicht ahnend, daß Lady Jessica ihn soeben geadelt und mit seinem eigenen Blut getränkt hatte.
     
    Sämtliche Fragen der Telefonistin beantwortete sie kühl, erstaunt, ja entrüstet darüber, daß einer Dame ihres Standes von einer Person aus dem gemeinen Volk auf den Zahn gefühlt wurde. Sie erklärte den Weg. Sie gab die Zeit an. Sie nannte Namen. Die Telefonistin riet ihr, die Ruhe zu bewahren. Schließlich legte Jessica auf.
    Die Ruhe bewahren? Bei der riesigen Blutlache auf dem Küchenfußboden? War die Frau noch ganz bei Trost?
    Sie begann schon, an ihre eigene Lüge zu glauben, aber als ihr Blick auf Henry fiel, der gesund und munter vor dem Kamin lag, wurde ihr klar, daß sie sich nun wohl überlegen mußte, wie sie der Polizei erklären sollte, daß nirgendwo auch nur ein Fleckchen Blut zu sehen war.
    «Komm, Henry. Wir müssen nachdenken.»
    Henry wollte weder nachdenken noch mitkommen.
     
    In der Speisekammer fand Jessie eine Büchse Hundefutter, öffnete sie nach einem kurzen Kampf mit dem Dosenöffner und füllte ein paar der Fleischstücke in eine Schüssel. Henry war sichtlich erfreut über diesen frühmorgendlichen Imbiß. Jessica schloß die Tür. Sie ging vom Eßzimmer ins Wohnzimmer, wo das Licht der Morgensonne wie zersplittertes Glas auf den Perserteppichen und Plüschsofas lag. Ihr fiel ein, daß die Polizei von Devon Henry nicht kannte. Und Henry würde bestimmt nicht reden. Aber sie, Jessie, sie würde reden müssen. Wie sollte sie erklären, daß es überhaupt kein Blut gab? An Blut kam man nicht so leicht heran, und sie hatte keineswegs die Absicht, ihr eigenes zu opfern. Sie setzte sich auf das Sofa, auf dem die Schauerliche Sharon gern gesessen hatte, und versuchte, ruhig zu bleiben und nachzudenken. Jessie schaute aus dem Fenster, sah die kalte, rauhe Morgendämmerung über den Rasen kriechen wie eine Schlange und erwog den Einsatz von Tomatensauce. Aber wo war der hingemetzelte Körper? Ihr war kalt im Nachthemd, aber sie blieb sitzen und feilte weiter an ihrer Geschichte.
    Die Schneiderpuppe vom Dachboden könnte sie als Leiche hineinlegen. Und der Polizei erzählen, bei diesem Anblick sei sie einfach durchgedreht.
    Aber das würde zu weiteren Fragen führen. Die Polizei würde wissen wollen, wer die Schneiderpuppe dorthin gelegt und überall mit Tomatensoße rumgekleckert hatte.
    Als dann aus der Speisekammer Gebell kam, hörte sie gleichzeitig den Doppelton von Sirenen auf der kiesbestreuten Auffahrt. Das kreiselnde Blaulicht und der Lärm bewirkten in den Räumen oben ein gewaltiges Getrampel.
    Schritte kamen die Treppe herunter, Schritte auf dem Kiesweg. Henry in seinem Speisekammergefängnis konnte einem leid tun, und sie sich selbst noch mehr. Sie hatte eine Menge einzugestehen.
     
     
    D IE S CHAUERLICHE S HARON trug eine Kerze in der Hand und sah aus, als spiele sie eine Rolle aus dem Repertoire der Irren Irene. Sie glich allerdings eher einer Schmeißfliege als Lady Macbeth, wie sie in ihrem schwarzen Negligé schlaftrunken angelaufen kam.
    Mrs. Mulchop hatte ihre spitzenbesetzte Schlafhaube auf und trug braune Filzpantoffeln. Victoria Gray trug einen Morgenrock aus Samt.
    Überall Polizisten, außerdem Männer in weißen Kitteln und ein Arzt mit einer schwarzen Tasche.
    Alle standen sie um Jessica herum, und Henry bellte.
    Fragen über Fragen, auf die Mrs. Mulchop und Victoria Gray entgeistert antworteten. Nein, sie wußten von nichts. Mrs. Mulchop ging, um in der Speisekammer nach dem Rechten zu sehen.
    Jessica kratzte sich am Ohr und riskierte einen vorsichtigen Blick, tat, als wüßte sie nicht, wie die ganzen Menschen hier hergekommen waren. Die vielen Fragen schienen sie fürchterlich zu verwirren, und der zuständige Polizist – ein Inspector Browne – wartete, während sie den Blick über die Elfenbein- und Damastpracht des Salons von Ashcroft wandern ließ. Schließlich fragte sie: «Wo bin ich?»
    Die Schauerliche Sharon rang die Hände, aber wohl nur, damit sie sich nicht an Jessica vergriff. «Wo du bist? Was soll das heißen?»
    Jessie rieb sich die Augen und warf Inspector Browne einen ängstlichen Blick zu. «Ich habe wohl wieder geschlafwandelt.»
    Sharon kreischte. «Aber du schlafwandelst doch nie!»
    Jessica überlegte einen Augenblick. «Woher wollen Sie das wissen, wenn Sie dann immer

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