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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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drei Neuankömmlinge. Sie saß, noch immer im Nachthemd, mit gekreuzten Füßen auf dem Sofa und wartete geduldig auf die nächste Standpauke. Die anderen Mitglieder des Haushalts standen in Morgenmänteln um sie herum. Einer von denen hat sicherlich genug Köpfchen, meinen Onkel zu finden, dachte sie. Der Rothaarige, der mit den Händen in den Hosentaschen dastand und sie mit blitzenden Augen musterte, gefiel ihr nicht besonders. Der andere, der Große mit den grauen Augen, sah irgendwie zugänglicher aus …
     
    Macalvie musterte die ganze Sippschaft. Victoria Gray saß lammfromm auf dem Sofa neben dem Mädchen. Die Ältere, die Köchin, stand da und rang die Hände. Und dann noch diese Schnepfe, diese Plunkett. Und sie alle in diesem Salon, inmitten von schwerem Samt und Brokat, den Porträts und dem Gold. Die Ashcrofts schienen wirklich nicht knapp bei Kasse zu sein. «Und das hier», sagte Inspector Browne, «ist Lady Jessica Mary Allan-Ashcroft.»
     
    Chief Superintendent Macalvie und Jessica Allan-Ashcroft gingen auf zwei gegenüberstehenden Sofas in Stellung. Jury saß auf einem schweren, brokatbezogenen Stuhl, Wiggins auf einem schlichteren Modell beim Kamin.
    «Sie dürfen mich Jessica nennen», sagte sie herablassend.
    «Danke.» Macalvie funkelte sie böse an, holte eine Packung Kaugummi hervor und schob sich einen Streifen in den Mund.
    «Kann ich einen abhaben?»
    Jury war froh, daß Macalvie sich beherrschte und ihn ihr nicht an den Kopf warf.
    Sie saßen beide da, maßen einander mit Blicken und kauten vor sich hin.
    «Raus mit der Sprache», sagte Macalvie.
    «Mein Onkel ist verschwunden.»
    Diese Aussage schien die Hausdame, die Köchin und die Gouvernante an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu treiben. Victoria Gray, die sich am besten unter Kontrolle hatte und sich wieder fing, sagte zu Macalvie: «Robert Ashcroft. Ihr Onkel. Er ist vor ein paar Tagen abgereist, vielleicht nach London, aber sie ist überzeugt davon, daß er verschwunden ist. Es ist lächerlich, Mr. Ashcroft fährt ab und zu nach London.»
    Macalvies Augen flitzten von Victoria zu Jessica zurück. Er kaute und starrte sie an.
    «Ein verschwundener Onkel ist eine Sache, ein Anruf, in dem es um einen Axtmörder geht, eine andere, wenn ich darauf hinweisen darf!»
    Jury unterbrach ihn. «Jessica, wie kommst du darauf, daß er verschwunden ist?»
    Jessica wiederholte, daß ihr Onkel weder an eine Nachricht noch an ein Geschenk zum Valentinstag gedacht hatte.
    «Und wegen einer Pralinenschachtel», sagte Macalvie, «holst du mit einem Lügenmärchen von einem Mörder die halbe Polizei von Devon und Cornwall in dieses gottverlassene Moor. Was bildest du dir eigentlich ein?»
    Jessie seufzte und sagte: «Es tut mir leid.»
    «So, es tut dir also leid.»
    Sie strich sich ihr Nachthemd glatt, faltete die Hände und sagte ernst: «Ja. Es tut mir leid, daß Sie so enttäuscht sind, weil hier nicht alles voller Blut ist, weil es keine zerhackten Leichen gibt, weil wir nicht allesamt, Henry eingeschlossen, tot sind.» Sie holte den Kaugummi aus dem Mund, begutachtete den rosa Klumpen und schob ihn wieder hinein.
    Macalvies Augen waren wie Laserstrahlen. Er hob zu einer Antwort an, aber Jessica unterbrach ihn: «Sie vergessen wohl, daß in Dartmoor ein Mann aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.»
    Sie gab Macalvie ein ordentlich gefaltetes Stück Papier, gerade so, als ob die Polizei sich nicht von sich aus auf dem laufenden halten würde. Es war der Zeitungsausschnitt, den die Schauerliche Sharon ihr vorgelesen hatte. Macalvie warf das Papier weg und sagte ärgerlich: «Der Mann wurde wegen guter Führung entlassen. Wie du dich aufführst, ist dagegen bodenlos unverschämt. Du hast nicht nur die Polizei von Devon und Cornwall an der Nase rumgeführt, sondern auch den da drüben –» und er deutete mit dem Kopf auf Jury –, «und bei diesem Herrn handelt es sich rein zufällig um einen Kriminalen von Scotland Yard.»
    «Wieso fragt er dann nichts? Mein Onkel ist seit sechs Tagen verschwunden, wenn man heute mitrechnet.» Sie stellte mit Genugtuung fest, daß der Dünne alles aufschrieb, was sie sagte. Wenigstens einer, der sie ernst nahm. «Er vergißt nie einen Feiertag, und er sagt mir immer Bescheid, wenn er weg muß. Und seine Autos sind auch alle da.» Sie zeigte in Richtung des Stalls.
    «Und was meinst du mit ‹alle›, Fräuleinchen?» fragte Wiggins.
    «Alle neun. Der Zimmer, der Porsche, der Lotus Elite, mein Mini Cooper, der

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