Inspektor Jury lichtet den Nebel
Fiona. Tagchen, Cyril», sagte Jury.
Fiona fuhr sich zur Begrüßung mit dem kleinen Finger über die Mundwinkel, Cyril zuckte mit dem Schwanz. Er schien sich immer zu freuen, wenn er Jury sah, vielleicht empfand er ja eine gewisse Seelenverwandtschaft mit ihm.
«Ausnahmsweise pünktlich», sagte Fiona und klappte ihr Puderdöschen zu. Jury hatte sich schon oft gefragt, wo sie diese Relikte aus der Nachkriegszeit auftrieb, seit seiner Kindheit hatte er keine Frau mehr mit so einem Art-deco-Ding gesehen. Fiona selber war auch so ein Relikt: Sie sah noch immer aus wie die Filmsternchen auf den Fotos aus dieser Zeit, mit Herzmund und strohblondem Haar. Sie war auf ihre Art immer noch hübsch anzusehen. Jury argwöhnte allerdings, daß Fionas gelbe Lockenpracht aus der Flasche kam. Daß sich ein paar Silberfäden in das Gold mischten, schrieb Fiona ihrem guten Friseursalon zu. «Racer ist noch im Club», fügte sie an.
Jury gähnte und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. «White’s? Boodles? The Turf?»
Fiona lachte und stützte ihr frisch geschminktes Gesicht auf die verschränkten Hände. «Sie glauben doch nicht, daß einer von denen ihn aufnehmen würde?» Sie schaute auf ihre goldene Armbanduhr, die ebenfalls aussah wie von einer prähistorischen Grabstätte, und sagte: «Zwei Stunden ist er weg, dürfte jeden Augenblick auf einen Sprung vorbeischauen.»
«Danke. Ich warte in seinem Büro – vielleicht kann ich ihn ja erschrecken.» Er zwinkerte Fiona zu, die ihn fragte, ob er schon gegessen hätte. Das gehörte zum Ritual, genauso wie Fionas Kriegsbemalung. Jury sagte sein Sprüchlein auf: «Das Leben eines Polizisten ist kein Zuckerschlecken.» Mit diesem Satz konnte man auf alles reagieren, bis hin zu einem Massenmörder, den man im eigenen Kleiderschrank fand.
Als er aufstand, holte Fiona eine Flasche Nagellack hervor, ein tiefes Dracula-Rot, es war fast schwarz. Fiona stand auf Schwarz. Sie staffierte sich stets in Schwarz aus – hauchdünne Sommerkleider, Winterwollsachen – alles schwarz. Vielleicht wollte sie sichergehen, in jeder Lebenslage für Racers Beerdigung bereit zu sein.
Kater Cyril folgte Jury in Racers sanctum sanctorum und ließ sich auf Racers Drehstuhl nieder. Jury nahm den Stuhl auf der anderen Seite der riesigen, leeren Schreibtischplatte. Racer lebte nach dem Prinzip, soviel wie möglich zu delegieren. Selten hatte Jury erlebt, daß Aktenordner, Notizblöcke oder Blätter den Schreibtisch seines Chefs verunziert hätten. Jury sah Cyril an, dessen Kopf gerade noch über die Schreibtischplatte schaute, und sagte: «Weswegen wollten Sie mich noch sprechen, Sir? Oh? Ja. Tut mir leid. Das Leben eines Polizisten –»
Ganz brachte er die abgedroschene Racer-Losung nicht zu Ende, denn sein Chef war sozusagen auf Katzenpfoten hereingekommen und stand plötzlich hinter ihm. «Schon wieder Selbstgespräche, Jury?» Er hing seinen Savile-Row-Mantel auf einen Garderobenständer und marschierte zu seinem Drehstuhl. Wie ein geölter Blitz sprang Cyril unter den Schreibtisch, um von dort aus den Angriff vorzubereiten, Jury war da ganz sicher.
Racer fuhr unbeirrt fort: «Also überarbeitet haben Sie sich wohl nicht, mein Junge. Viel haben Sie in dem Dorchester-Fall offenbar nicht herausbekommen, sonst hätten Sie ja Bericht erstattet, oder? Ganz zu schweigen von den beiden anderen Morden! Der Polizeipräsident sitzt mir im Nacken. Was haben Sie also zu melden? Was für Fortschritte haben Sie gemacht?»
Jury erzählte ihm gerade so viel, daß der Polizeipräsident beruhigt sein konnte. Wie üblich war das Racer zuwenig. Der wäre nur zufrieden gewesen, wenn er den Mörder direkt hier, in seinem Büro, aus dem Hut gezaubert hätte.
«Ist das etwa alles, Jury?»
«Leider.»
«Also, was mich angeht – was zum Teufel ist das?» Racer sah unter seinem Schreibtisch nach. Er betätigte die Sprechanlage und forderte Fiona auf, das Untier unter seinem Schreibtisch zu beseitigen. «Dieses räudige Vieh hat acht seiner neun Leben verspielt, Miss Clingmore! Ich schwöre es», brummte er und sah Jury an, als verspielte er gerade das neunte und letzte.
Fiona kam ins Büro gewippt und griff sich Cyril. Ihre Leben waren ganz bestimmt nicht in Gefahr. Unterhalb und oberhalb des schwarzen Ledergürtels, mit dem sie sich ihre Taille eingeschnürt hatte, quollen die Massen. Racer schien nie recht zu wissen, wohin er schauen sollte.
«Weiter», sagte er, als Fiona wieder draußen war.
«Weiter gibt es
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