Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
verblüffend gleichzeitig – auf die Straße, er aus dem Bold Blue Boy, sie aus dem Süßwarenladen ein paar Häuser weiter.
    Jury beobachtete einen Augenblick, wie sie in die Luft starrte und ihn auf unübersehbare Weise ignorierte. Das letzte Mal, daß ihn jemand so auffällig ignoriert hatte, war in der Camden Passage gewesen, als er Jimmy Pink, den Taschendieb, der dort seiner Arbeit nachging, festnahm. Sie beugte den Kopf über eine weiße Papiertüte und überlegte anscheinend, welches Bonbon sie sich zuerst in den Mund schieben sollte.
    Immer noch durch ihn hindurchstarrend, obwohl er die einzige Person auf dem Trottoir war und außerdem von beträchtlicher Körpergröße, begann sie auf einem Bein herumzuhüpfen, dann machte sie einen Satz nach vorne, wobei sie die Beine, einem unsichtbaren Muster im Pflaster folgend, auseinanderspreizte. Sie wirbelte herum und wiederholte das Ganze rückwärts, die weiße Bonbontüte fest an sich pressend. Ihr ungekämmtes, strähniges Haar hatte an den Seiten ihres Kopfs zwei Bäusche gebildet, die beim Hüpfen auf- und abgingen.
    Er überquerte die Hauptstraße, stieg in sein Auto und umkurvte damit das eine Ende der Grünanlage, um dann auf der andern Seite am Blue Boy vorbeizufahren. Bei dem keltischen Kreuz blickte er in den Rückspiegel. Sie stand völlig regungslos da, stopfte sich den Inhalt ihrer Tüte in den Mund und starrte dem Wagen der Kriminalpolizei nach.

6
    Augusta Craigie – oder die Frau in dem wild wuchernden Garten, von der Jury annahm, sie sei Augusta – schien gerade mit einem Beet Primeln beschäftigt zu sein, als er das Gartentor aufklinkte. Bis auf das kleine Fleckchen, auf dem sie gerade arbeitete, war der Garten ein einziger Dschungel. Sie fuhr mit einer kleinen Harke um die winzigen Windmühlen und Wasserfälle, die Enten, die ihre Jungen in die Schlacht führten, die gepunkteten Frösche auf den Gipsbänkchen herum. Sogar ein kleines Riesenrad war vorhanden. Man fühlte sich wie auf einem Rummelplatz für Liliputaner.
    «Miss Craigie?» Sie drehte sich nach ihm um, und ihre Lippen formten ein kleines O. «Ich bin Superintendent Jury vom Scotland Yard. Kriminalpolizei.» Er zeigte ihr seinen Ausweis.
    Sofort rollte sie den Kragen hoch und die Ärmel herunter, als wolle sie den letzten Zentimeter unbedeckter Haut verhüllen, ein schwieriges Unterfangen, denn Miss Craigie war von den grauen Haaren bis zu den grauen Baumwollstrümpfen bereits ganz in Grau gewandet. Mit ihren flinken, kleinen Augen und ihrer spitzen Nase erinnerte sie Jury an eine Feldmaus.
    «Sie wollen bestimmt mit meiner Schwester sprechen. Ich glaube nicht, daß sie dazu in der Lage ist … ich meine, nach all dem, was sie hinter sich hat. Sie können sich vorstellen, was für ein Schock das war!»
    «Ja, natürlich. Aber vielleicht könnten wir uns unterhalten?» Wenn er erst einmal im Haus war, würde er schon fertig werden mit den Schocks, die sie erlitten hatten.
    «Wir? Oh. Ja, ich denke schon …» Verunsichert blickte sie auf ihre Gipsdekorationen, da aber von den Enten und den Fröschen kein Zuspruch zu erwarten war, streckte sie die Waffen, wickelte ihre Strickjacke noch fester um ihren schmalen Körper und führte ihn zu einer kleinen Tür. Das Strohdach war dringend reparaturbedürftig. Von den schweren, dunklen Balken um die Fenster und die Tür war schon längst der Maschendraht abgefallen, der verhindern sollte, daß Vögel dort ihre Nester bauten.
    Eine langhaarige Katze mit dem gemeinen, verdrießlichen Gesichtsausdruck eines Schurken tauchte hinter einem Busch auf und folgte ihnen auf den Fersen. Drei weitere – Jury glaubte etwas Graues und Orangefarbenes gesehen zu haben – huschten wie Schatten um die Ecke des Hauses.
    Der Eindruck, den der Garten vermittelte, wurde im Innern des Hauses noch verstärkt. Die Ausschmückung ihres Heims lag den beiden Schwestern offensichtlich mehr am Herzen als der Haushalt. Von dem vorderen Zimmer gelangte man durch einen niedrigen Bogen in einen zweiten Raum – ein Studierzimmer oder eine Art Wohnzimmer. Vor dem Fenster stand ein breiter, mit Papierrollen, Schreibwerkzeugen und Zeichengeräten übersäter Schreibtisch. Über alldem thronten zwei Sperlingspapageien in einem Korbkäfig.
    Auch sonst gab es überall Vögel, nur daß diese entweder ausgestopft waren, unter Glas standen oder als Porzellanfiguren den Kaminsims und die Regale zierten. Augusta Craigie hatte in einem ausladenden, kretonnebezogenen Sessel Platz

Weitere Kostenlose Bücher