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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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sie Tonleitern.
    Als er an ihren Tisch kam, sagte sie: «Nehmen Sie Platz, Lord Ardry.»
    «Melrose Plant, das genügt. Ich führe keinen Titel.»
    Sie setzte ein verschwörerisches Lächeln auf, als wäre dieses Melrose Plant genauso falsch wie der Name des Mörders auf Pollys Flasche. «Natürlich. Finden Sie es nicht sterbenslangweilig hier?»
    «Sie meinen das Fest? Ich habe solche Feste schon immer äußerst interessant gefunden. Eine wunderbare Gelegenheit, die menschliche Natur zu studieren.»
    Julia seufzte. «Sie mußten sie bestimmt nicht jedes Jahr über sich ergehen lassen. Ich begreife nicht, warum Mummy sich mit diesem verdammten Quatsch abgibt; Derek und mich bringt das in eine äußerst unangenehme Lage …» Sie schwatzte weiter, während Melrose sich fragte, was an ihrer Lage so unangenehm war; offensichtlich saß sie nur herum, trank Tee und rauchte Balkan Sobranies. Er ließ seine Gedanken schweifen, und Katies Plan fiel ihm wieder ein. Woher hatte sie ihn nur? Durch die zurückgeschlagene Zeltplane sah er, daß der Wagen sich wieder in Bewegung gesetzt hatte und aus dem dunklen Schatten am andern Ende des Friedhofs herausrollte. Emily würde bestimmt einmal mit ihren Stiefeln begraben werden. Sie zog sie offenbar nie aus.
    Melrose konnte gerade noch zehn weitere Minuten von Julias Lebensgeschichte ertragen, in der das Spannendste ein Sturz war, bei dem sie sich den Kiefer gebrochen hatte und infolgedessen eine Zeitlang nicht reden konnte. Dann sagte er, nun wolle er sich die Zukunft voraussagen lassen. Er mußte irgendwie wegkommen.
    «Von der guten, alten Augusta? Wozu denn das?»
    «Um zu erfahren, ob eine rätselhafte Unbekannte in mein Leben tritt.» Er mühte sich, ein geheimnisvolles Lächeln aufzusetzen. Sie war entzückt. Als er sich erhob, fragte er sie unvermittelt: «Sagen Sie, Miss Bodenheim – kannten Sie Lord Kenningtons Sekretär sehr gut?»
    «Trev –?» Sie sprach nur die erste Silbe seines Namens aus, und er glaubte gesehen zu haben, wie ein Schatten über ihr Gesicht flog. «Nein, natürlich nicht. Wir hatten kaum etwas mit den Kenningtons zu tun und schon gar nichts mit ihrem Sekretär.»
    Melrose überlegte. «Aber Ihr Bruder hat ihn doch recht gut gekannt, nicht wahr?»
    Sie zog die Brauen hoch. «Was, um Himmels willen, kümmert Sie das? Wer hat Ihnen denn von dieser Sache erzählt?»
    «Oh … da ich mich mit dem Gedanken trage, das Gut zu erwerben, höre ich eben so einiges. Na ja … Sie verstehen schon.»
    Sie verstand wohl kaum, aber die leichte Röte verschwand aus ihrem Gesicht, als sie die Haltung wiedererlangte – oder vielmehr die Bodenheimsche Arroganz, die als Haltung ausgegeben wurde. Sie sagte: «Ich hoffe nur, daß Sie etwas geselliger sein werden als jene Dame da.»
    Melrose teilte diese Hoffnung ganz und gar nicht.
     
     
     
    Madame Zostra , die mit einer Kristallkugel, einem mit Steinen besetzten Turban und einem haarsträubenden Akzent ihr Gewerbe ausübte, hatte kaum etwas mit jener Augusta Craigie gemeinsam, die ihrer Schwester wie ein Schoßhund folgte. Vielleicht erlaubte ihr das Kostüm, eine skrupellose Seite ihres Wesens zu enthüllen, denn sie hatte nicht die mindesten Bedenken, Melroses Hoffnungen für die Zukunft in Grund und Boden zu stampfen. Er hatte immer gedacht, Wahrsagerinnen seien dazu da, Hoffnungen zu wecken, Mut schöpfen zu lassen, die Ratsuchenden mit verführerischen Fremden, Geld und exotischen Zielen wie mit Herbstlaub zu überschütten. Aber nachdem er Madame Zostra seinen Obolus entrichtet hatte, bestand Melroses Zukunft nur noch aus zerstörten Träumen. Er würde kein Vermögen machen, sondern eines verlieren, und zwar höchstwahrscheinlich an eine gefährliche (aber nicht verführerische) fremde Person, die sich wie ein toter Baumstamm quer über seinen Weg legen würde. Von angewehtem Herbstlaub keine Spur.
    Als Melrose aus dem Zelt trat, wunderte er sich nicht mehr über ihren Mangel an Kundschaft. Es mußte sich herumgesprochen haben, daß man mit dem Betreten ihres Zeltes alle Hoffnungen fahren lassen konnte. Wenn der Erfolg des Festes von Madame Zostras Begabung abhing, würde das Kirchenfenster warten müssen, bis selbst in der Hölle Eiseskälte herrschte – an dem Ort, wo sich alle ihre Kunden wiederbegegnen würden, wenn man ihr Glauben schenkte.
     
    Sylvia Bodenheim, die mit einer hageren Frau um den Preis eines schäbig aussehenden, aber selbstgestrickten Wollschals feilschte, war offensichtlich ganz in

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