Instinkt
in dem verschlossenen Raum, unbewaffnet und den Tod vor Augen, machte mich fast irre, und ich musste alle meine Kräfte gegen die Klaustrophobie aufbieten. Von unten konnte ich gelegentlich Geräusche vernehmen, aber es waren meistens Schritte oder Geklapper, keine Stimmen. Einmal glaubte ich, einen Wagen davonfahren zu hören.
Danach herrschte wieder Stille, und ich fragte mich, ob die anderen das Gebäude verlassen hatten. Zunächst erfüllte mich der Gedanke mit delirierender Hoffnung – wenn sie mich zurückließen, würden sie mich nicht umbringen –, doch dann dämmerte mir, dass ich in einem verlassenen Gebäude mitten in der Pampa eingesperrt war und wahrscheinlich längst verhungert wäre, ehe mich jemand entdeckte.
Deshalb raffte ich mich auf und warf mich immer wieder gegen die Tür, es war mir jetzt egal, ob sie es hörten. Ich gab erst auf, als meine Schulter so schmerzte, dass ich nicht mehr konnte. Entmutigt sank ich zu Boden. Und wartete. Worauf allerdings, das wusste ich nicht.
Ich fragte mich, ob Kent noch hier war und ob er noch lebte. Und ganz besonders fragte ich mich, warum man ihn überhaupt entführt hatte. Er hatte behauptet, er habe Informationen, und Wolfe hatte ihn mit aller Macht zum Schweigen gebracht, ehe er plaudern konnte. Was mochte er gewusst haben, das so wichtig war, dass jemand für eine bewaffnete Gefangenenbefreiung aus Polizeigewahrsam zahlte? Und was hatte er wirklich mit den Morden zu tun, derer man ihn beschuldigte?
Ich verfluchte mich innerlich, dass ich mich überhaupt auf diese Scheiße eingelassen hatte, als plötzlich im ganzen Haus die Lichter ausgingen. Ich merkte es, weil der orangene Streifen unter der Tür verschwand und nicht der geringste Lichtstrahl mehr durch die Ritze drang.
Ich stand auf und lauschte an der Tür.
Mehrere Minuten passierte gar nichts. Dann hörte ich Schritte. Leise, aber dennoch unüberhörbar kamen sie die Treppe herauf, deren alte Holzstufen hin und wieder quietschten.
Ich hielt den Atem an, ballte die Fäuste und wartete.
Die Schritte näherten sich, langsam und vorsichtig.
Mein Herz hämmerte. Das war es dann.
»Hallo?« Die Schritte waren verstummt. »Hallo?«
Die Stimme war weiblich. An ihrem Akzent erkannte ich, dass es Lee war, die beunruhigt klang.
Aus dem Bauch heraus entschied ich, dass dies kein Trick war.
»Ich bin hier drin!«, rief ich und klopfte gegen die Tür. »Sie ist von außen verriegelt.«
Ich hörte, wie der Riegel aufgeschoben wurde, und trat einen Schritt zurück. Die Tür öffnete sich.
Lee stand im Rahmen, im Dämmerlicht konnte ich lediglich ihre Silhouette ausmachen. »Bist du okay?«, fragte sie und kam herein, um mich besser betrachten zu können. Mein »Ja« entlockte ihr ein zweifelndes Zischen: »Du bist doch übel verletzt.« Mit einer befremdlich erotisch wirkenden Geste berührte sie mein Gesicht und strich mit den Fingern über meine Schwellungen.
»Mir geht’s gut«, sagte ich brüsk und schob ihre Hand beiseite. Ich ging an ihr vorbei in den Flur: »Was ist los?«
»Ich weiß nicht. Ty musste weg, er wollte die Waffen vergraben.«
»Weißt du, wo?«, fragte ich und dachte schon wieder daran, Beweismittel zu sammeln.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber er hat mir gesagt, er wäre nicht lange weg. Er hat Clarence angewiesen, auf mich achtzugeben, aber Clarence … er und ich, wir kommen nicht gut miteinander aus. Er ist in ein anderes Zimmer gegangen und hat mich in der Küche sitzen lassen. Und dann vor zehn Minuten oder so – bumm! – fiel auf einmal das Licht aus. Und jetzt kann ich Clarence nirgendwo finden. Ich habe nach ihm gerufen, aber er reagiert nicht.«
»Und was ist mit Tommy? Wo steckt er?«
»Der andere? Der war vorhin noch da, seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Und ist der Kunde aufgetaucht?«
»Nein, niemand.«
Ich runzelte die Stirn. Hatten Haddock und Tommy sich während Wolfes Abwesenheit abgesetzt? Angesichts der Stille, die im Haus herrschte, musste ich das annehmen, aber ich verstand nicht, warum – zumal der Kunde ja nicht gekommen war.
»Wie lange ist Wolfe schon weg?«
»Vielleicht eine halbe Stunde. Vielleicht auch länger.«
»War er zu Fuß?«
Sie nickte. »Ja.«
Dann vergrub er die Waffen irgendwo in der Nähe des Gebäudes, was bedeutete, dass er wohl bald zurück sein würde.
»Wie heißt du?«, fragte sie plötzlich.
»Sean.«
»Ich bin Lee.« Sie rückte näher an mich heran. »Ich habe Angst, Sean.«
»Wir müssen hier
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