Instinkt
heraus.
Ich mühte mich so gut es ging, die Furcht zu ignorieren, die mir den Rücken heraufkroch, und wandte mich zum Gehen.
Und machte erschrocken einen Satz rückwärts, als die Flamme des Feuerzeugs ihren Schein auf eine Gestalt im Dunkel des Schuppens warf.
Es war Haddock. Er stand in der Ecke neben dem Eingang und beobachtete mich.
Nur dass er sich nicht bewegte und der Blick seiner weit aufgerissenen Augen leer war.
Ich kam einen Schritt näher und hielt das Feuerzeug hoch. Da erst bemerkte ich das Jagdmesser, das bis zum Heft in seiner Brust steckte und ihn an die Wand genagelt hatte. Und ich sah die bluttriefende Wunde an seinem Hals, wo man ihn von Ohr zu Ohr aufgeschlitzt hatte.
Clarence Haddock, der hundertzwanzig Kilo schwere, einsneunzig große Killer, der furchterregendste aller Gangster, wie ihn ein Polizist einmal genannt hatte, war tot.
DREIUNDDREISSIG
Es war ein Uhr, als Tina endlich körperlich erschöpft, aber geistig hellwach ihre Wohnung betrat. Als Erstes entkorkte sie eine Flasche Rioja und goss ein Drittel davon in ein riesiges Burgunderglas. Sie nahm einen tiefen Schluck und genoss den kräftigen Geschmack. Sie setzte das Glas gar nicht erst ab, sondern leerte es mit zwei, drei weiteren Schlucken. Dann schenkte sie sich ein zweites ein und ging damit in ihr kleines, schuhschachtelgroßes Wohnzimmer. Dort ließ sie sich auf das Sofa fallen und zündete sich eine Zigarette an.
Noch auf dem Nachhauseweg hatte sie den Arzt angerufen, der Kevin O’Neills Totenschein ausgestellt hatte. Der war über die mitternächtliche Störung wenig erbaut gewesen, doch Tina war frostige Begrüßungen gewohnt und hatte seine Beschwerden mit dem Hinweis abgebürstet, beim Tod von O’Neill sei möglicherweise nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Das hatte dann doch das Interesse des Arztes geweckt, der ihr mitteilte, dass der Tod »mit einiger Sicherheit« am gestrigen Abend zwischen achtzehn und vierundzwanzig Uhr eingetreten sei.
Tina fragte sich, was er mit »einiger Sicherheit« meinte. In ihrer Welt war man sich entweder sicher oder nicht.
Dennoch hatte er ihr ausreichend Informationen geliefert, um die Sicherheitsfirma anzurufen, die die CCTV-Kamera am Eingang der Privatstraße betreute. Nachdem man sie etwa zehn Minuten lang von einem Mitarbeiter zum nächsten verwiesen hatte, die alle offenbar genug damit zu tun hatten, so spät noch Dienst zu schieben, und wenig Neigung zeigten, ihr weiterzuhelfen, landete sie schließlich bei einem Ex-Cop namens Jim, der ihr zwar ein Ohr abquatschte, aber wenigstens bereit war zu helfen.
Jim fiel auch nicht gleich in Ohnmacht, als Tina ihm ihr Anliegen vortrug, das immerhin von ihm verlangte, sich durch das gesamte Material zu zappen, das eine bestimmte Kamera am Vorabend zwischen sechzehn und vierundzwanzig Uhr aufgezeichnet hatte. Zudem wollte sie eine Liste mit genauer Zeitangabe sämtlicher Fahrzeuge, die nicht den Anwohnern der Straße gehörten, und das so schnell wie möglich.
Während Tina in der Leitung blieb, suchte Jim nach dem fraglichen Ordner und sagte ihr, die Aufnahmen von Donnerstagabend habe er hier, und da sie eine Liste der Anwohnerkennzeichen archiviert hätten, sollte es auch möglich sein, die gewünschten Informationen zu ermitteln. »Hilft das, den Fall zu lösen?«, fragte er eifrig, wohl in der Hoffnung, auf seine alten Tage noch einmal seinen Teil zu einer großen Sache beitragen zu können.
Tatsächlich war das denkbar unwahrscheinlich. Wie Grier gebetsmühlenhaft wiederholte, gab es keinerlei Hinweise, dass O’Neill nicht eines natürlichen Todes gestorben war, und selbst wenn dem so wäre, hieß das noch lange nicht, dass der Mörder auch mit dem Wagen vorgefahren war. Doch das verschwieg Tina Jim natürlich. Stattdessen sagte sie, das wolle sie doch hoffen.
»Sie lassen nie locker«, meinte Grier mit einer Mischung aus Bewunderung und Verzweiflung, als sie endlich aufgelegt hatte.
»Jemand hat einmal gesagt, zu jedem Problem gebe es ein Lösung.«
»Und glauben Sie das?«
Tina dachte an ihr Alkoholproblem, daran, wie ihr Leben sich in einen Kampf verwandelt hatte, der nie zu enden, geschweige denn siegreich zu verlaufen schien. »Nein«, erwiderte sie und rang sich ein Lächeln ab. »Aber man darf die Hoffnung nie aufgeben.«
Als sie ihn kurz darauf zu Hause absetzte, hatte er sie mit einem merkwürdigen Blick bedacht. Er schien etwas sagen zu wollen, dann aber war der Blick verschwunden, und er fragte beim
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