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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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seinen Augen glaubte Tina ein verächtliches Funkeln ausmachen zu können. Zudem missfiel ihr die Art und Weise, wie die Prostituierte ihre Aussage modifiziert hatte. Die ganze Geschichte klang erstunken und erlogen und legte die Vermutung nahe, die Frau sei dazu veranlasst worden. Entweder von Gore selbst, vielleicht besaß er aber auch mächtige Freunde, die das für ihn erledigt hatten.
    Ein offenkundiges Fehlverhalten Gores allerdings hatte sie in der halben Stunde Recherche nicht erkennen können. Aber vielleicht war er auch nur vorsichtig. So oder so, Tina mochte weder ihn noch die Tatsache, dass er eine Affäre mit Roisín gehabt hatte und in der Zeit vor ihrem Tod öfter mit ihr gesehen worden war. Zudem deutete der Tod durch Erwürgen auf ein Verbrechen aus Leidenschaft hin, denn Täter und Opfer kamen sich dabei sehr nahe, und es bedurfte einer gehörigen Portion blinder Wut, Verzweiflung oder anderer heftiger Emotionen, das Verbrechen zu begehen.
    Hatte Roisín etwas getan, was Gore dazu brachte, sie zu töten? Und hatte Andrew Kent es aufgenommen?
    Doch wie hatte Gore seine Tat vertuscht? Soweit Tina wusste, hatte er keinerlei Verbindung zu den Ermittlungen gegen den Night Creeper, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass ein Mann mit dem akademisch-juristischen Hintergrund Gores sich die Hände schmutzig gemacht hätte, indem er wie besessen mit einem Hammer auf das Gesicht seiner Geliebten einschlug. Hatte er Freunde, die über entsprechende Kontakte verfügten? Dieselben Freunde, die die Prostituierte dazu gebracht hatten, ihre Aussage zu ändern? Und waren die auch in der Lage, Andrew Kent aus dem Polizeigewahrsam zu befreien?
    Das ergab Sinn und passte zu den Fakten. Allerdings war es auch ziemlich weit hergeholt. Und Tina hatte nicht den geringsten Beweis, der ihre Theorie untermauerte. Im Radio hatte es heute Morgen keine weiteren Hinweise auf den Verbleib Kents gegeben, und auch von DCI MacLeod hatte sie nichts gehört. Sie musste ihn anrufen, deshalb erhob sie sich und wählte seine Nummer. Dabei sah sie auf die Uhr und stellte fest, dass es erst halb sieben war. Die Sonne allerdings schien schon mit voller Kraft durch die Jalousien und warf helle Lichtstreifen auf ihr Sofa. MacLeod würde vermutlich bereits wach sein. Angesichts der Vorfälle vom gestrigen Abend dürfte er Schwierigkeiten gehabt haben, einen erholsamen Schlaf zu finden.
    Doch niemand nahm ab. Sie überlegte kurz, den Big Boss der Abteilung Kapitalverbrechen, DCS Frank Mendelson, anzurufen. Er war für alle Mordermittlungen zuständig und der direkte Vorgesetzte von DCI MacLeod. Tina war ihm erst einmal begegnet, als er vor ein paar Monaten ihren Distrikt besucht hatte, um über den Fall zu sprechen. Mendelson war ein kleiner, bissiger und überaus ehrgeiziger Mann, und sie erinnerte sich, dass er es schätzte, wenn man die Dinge methodisch anging. Wahrscheinlich würde er sie anweisen, einen Bericht zu schreiben, und angesichts der wenigen Beweise und des prominenten Status von Anthony Gore würde nichts weiter unternommen werden. Deshalb entschied sie sich dagegen. Sie entschied sich auch dagegen, Mike anzurufen, hauptsächlich weil sie glaubte, er würde ihr raten, äußerste Vorsicht walten zu lassen, und genau das würde nicht funktionieren. Sie musste Bewegung in die Sache bringen, und deshalb entschied sie sich, Gore mit ihren Ergebnissen zu konfrontieren.
    Allerdings war das eine hochriskante Strategie. Oder besser gesagt, es war der komplette Irrsinn, denn sie konnte sich beträchtlichen Ärger einhandeln. Doch wie sie da in ihrem erbärmlichen kleinen Wohnzimmer stand, war ihr das plötzlich völlig egal. Der Gedanke erregte sie sogar. Ihren Job aufs Spiel zu setzen, mit einer melodramatischen und wahrscheinlich vergeblichen Aktion der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen zu wollen und dabei alles zu riskieren, jagte ihr einen Adrenalinstoß nach dem anderen ins Blut.
    Sie ignorierte die Stimme in ihrem Kopf, die ihr beharrlich einredete, was für eine Närrin sie war, und dass sie auf diesem Weg garantiert nichts erreichen würde. Zielstrebig schritt sie in die Küche, holte eine halbvolle Flasche Wodka aus dem Gefrierfach und trank einen großen Schluck. Für einen Moment genoss sie das heiße Prickeln im Rachen, dann griff sie zum Telefon und rief Dan Grier an.
    »Aufwachen, aufwachen«, sagte sie, als er abnahm.
    »Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen.«

FÜNFUNDVIERZIG
    DCI Dougie MacLeod lebte allein

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