Intimitaet und Verlangen
wütend auf sich, weil er so schnell wieder die Initiative ergriffen hatte, also nicht nur weil Sharon sein Angebot abgelehnt hatte. Thomas befürchtete, er habe seine Allianz mit Sharon zerstört, und sie werde nun denken, dass er sich nie verändern werde.
Normalerweise hätte Thomas in einer Situation wie dieser einen Wutanfall bekommen. Er hätte den Impuls verspürt, Sharon anzugreifen. Doch diesmal gab er seinen Tendenzen nicht so wie sonst nach. Zunächst schwieg er eine Weile, und dann sagte er:
»Ist in Ordnung. Ich war mir bei der Frage auch schon nicht ganz sicher. Ich fürchtete, solch ein Vorschlag könnte voreilig sein. Aber ich habe mich einfach schon lange nicht mehr so gut mit dir gefühlt.«
Sharon hörte: Ich fühle mich okay. Es fällt mir einfach schwer, dies zu schlucken. Ich werde die Verantwortung für meine Gefühle übernehmen. Ich bin enttäuscht, aber du hast nichts falsch gemacht. Ich werde nicht zulassen, dass die Situation zwischen uns darunter leidet.
Die Zeit stand still. Dies war ein gewaltiger Augenblick zwischenmenschlicher Kommunikation. Sharon hatte miterlebt, wie Thomas sich mit seinen Gefühlen konfrontiert, wie er sie beruhigt und sie schlieÃlich gemeistert hatte. Sie hatte beobachtet, wie er ein ganzes Spektrum von Reaktionen durchlebt hatte, dann niedergeschlagen gewesen war und mit sich gekämpft hatte, und wie er schlieÃlich gefestigt, wenn auch erschüttert aus der Situation hervorgegangen war. Dies alles war innerhalb weniger Minuten geschehen, statt dass es sich über Tage oder Wochen oder gar Monate hingezogen hatte. Sharon war beeindruckt.
»Sie sagte: »Danke«, und Thomas wusste genau, was sie damit meinte.
Er antwortete: »Kein Problem.« In Wahrheit war dies für ihn ein groÃes Problem gewesen, aber er war damit fertiggeworden. Er hatte seine Gefühle nicht verleugnet. Er hatte sich bemüht, freundlich zu sein. Und er hatte sich groÃe Mühe gegeben, nicht die Fassung zu verlieren.
Sharon fügte hinzu: »Ich meine das wirklich so«. Weil sie bei dem, was sie sagte, so ernst wirkte, schaute Thomas sie an. Ihre Blicke begegneten sich, und sie sahen einander. Sharon wünschte sich nun, dass Thomas in sie hineinschaute. Beide waren sich der Bedeutung dessen, was zwischen ihnen geschah, ebenso bewusst wie der positiven Auswirkungen dieses Geschehens auf die Verbindung zwischen ihnen. Thomas war bewusst, dass Sharon beobachtet hatte, wie er sich mit sich selbst konfrontiert und dabei die Kontrolle nicht verloren hatte.
Thomas antwortete: »Das weià ich.« Sharon merkte, dass das, was er sagte, und das, was in seinem Geist vor sich ging, zusammenpasste, und ihr Gesichtund Körper entspannten sich. Diese Interaktion fühlte sich völlig anders an als die vorherigen. Sie hatten einander nicht bestätigt und bestärkt, so wie sie es sonst getan hatten, sondern sie hatten beide auf ihren eigenen FüÃen gestanden. Das Verhalten des Partners förderte das Beste in ihnen zutage, doch sie erreichten dies nicht, indem sie einander zu akzeptieren und zu bestätigen versuchten. Sie sprachen für sich selbst, versuchten, ehrlich zu sein, statt sich einzuschmeicheln, indem sie ihrem Partner sagten, was sie glaubten, dass er hören wollte. Dies ist selbstbestätigte Intimität.
Sharon bereute es nun noch mehr, nein gesagt zu haben. Doch sie fand, dass dies nicht der geeignete Augenblick war, um darauf zu sprechen zu kommen. Sie wollte Thomas nicht bei seinem Prozess stören. Er brauchte es nicht, durch Sex unterstützt zu werden, und sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als ob sie ihn für eine erbrachte Leistung belohnen würde. AuÃerdem war sie über ihre quasi automatische Weigerung immer noch ziemlich verblüfft.
Als sie zu Bett gingen, fühlte Thomas sich aus sich selbst heraus wohl. Er schlief friedlicher als sonst. Sharon hingegen schlief so gut wie gar nicht. Sie war aufgewühlt, sogar verängstigt, weil sie Thomas so automatisch hatte abblitzen lassen. Diese Reaktion hatte nicht das Geringste mit den Gefühlen zu tun gehabt, die sie zum betreffenden Zeitpunkt hatte. Es war einfach so aus ihr herausgebrochen, als wäre in ihrem Gehirn eine schon lange existierende Nervenbahn aktiviert worden. Sharon stellte sich immer wieder vor, wie sie auf Thomasâ Vorschlag reagiert hatte. Als ihr klar wurde, wie schrecklich ihre
Weitere Kostenlose Bücher