Invaders: Roman (German Edition)

die Möwe am Rand eines kleinen Felsvorsprungs. Selbst die Wolken auf den Fotos glichen einander wie ein Ei dem andern. Geoff drehte die Fotos um. Auf der Rückseite des einen stand Ursprünglicher Zeitverlauf , auf der des andern Modifizierter Zeitverlauf .
    Als Geoff weiterblätterte, stellte er amüsiert fest, dass sich unzählige Wissenschaftler für die Möwe interessiert hatten. Manche hatten sogar Abhandlungen darüber geschrieben. Er überflog einige der Darstellungen. Offenbar stimmten alle darin überein, dass es sich bei der Entscheidung der Möwe, in die andere Richtung zu blicken, um eine ebenso unerklärliche wie unbedeutende Abweichung in dem ansonsten unveränderten Zeitverlauf handelte und dass man Geoffrey ungeachtet dieser geringfügigen Änderung im Raum-Zeit-Kontinuum zum Zeitreiseführer machen sollte. Eine der Abhandlungen trug den Titel: Die Geoffrey-Stamp-Möwe – wen interessiert’s?
    Geoff blätterte weiter, um nach ein paar Seiten erneut innezuhalten. Einer der Wissenschaftler schien zu einem anderen Schluss gekommen zu sein, denn der Titel seiner Abhandlung lautete: Die Geoffrey-Stamp-Möwe – blicken wir alle in die falsche Richtung? Geoff fing an zu lesen.
    Seit Monaten wird jetzt unter Wissenschaftlern darüber diskutiert, ob Geofrey Stamp zum Zeitreiseführer ernannt werden soll oder nicht. Normalerweise ist dies nur zulässig, wenn die Geschichte infolge einer solchen Ernennung völlig unverändert bleibt. In Geoffrey Stamps Fall sind wir dabei, diese Regel zu brechen. In hunderttausend Jahren wird eine Möwe nach rechts statt nach links blicken – und wir sind bereit, diese angeblich unbedeutende Veränderung zu ignorieren, um einem Touristikunternehmen entgegenzukommen. Liebe Kollegen, ich glaube, da machen wir einen gravierenden Fehler – einen Fehler, der katastrophale Folgen für das Raum-Zeit-Kontinuum und die Zukunft der Menschheit haben könnte. Diese Abhandlung geht der Frage nach, warum die Möwe in die andere Richtung blickt und warum Geoffrey Stamp unverzüglich von der Shortlist der Zeitreiseführer für das einundzwanzigste Jahrhundert gestrichen werden sollte.
    Geoff leckte sich den Finger an und schlug die Seite um. Die nächste Seite war leer. Ebenso die restlichen Seiten der Akte. Entweder jemand hatte die folgenden Seiten entfernt – oder der Verfasser war ein Scherzbold und hatte ein Faible für unsichtbare Tinte.
    »Oooh …«
    Geoff schaute auf. Wenn sein Gehör ihn nicht getrogen hatte, hatte gerade jemand »Oooh« gesagt. Er klappte den Ordner zu und erhob sich.
    Da war es wieder.
    »Oooh …«
    Der Laut war nur schwach zu hören und schien von hinter den Rechnern zu kommen.
    »Hallo?«, sagte Geoff, während er langsam in die Richtung ging, aus der das Stöhnen kam. »Ist da jemand?«
    »Geoff?«, flüsterte eine Stimme. »Sind Sie das, Geoff?«
    »Wer ist denn da?«, fragte Geoff. Die Stimme war so schwach, dass er sie nicht identifizieren konnte.
    Jemand hustete auf eine Weise, die sich nicht sonderlich gesund anhörte.
    »Wer ist denn da?«, wiederholte Geoff.
    »Ich … ich bin’s, Geoff. Eric …«
    »Eric? Wir haben Sie schon überall gesucht! Wo waren Sie denn?«
    »Keine Zeit …«, erwiderte Eric. »Helfen Sie mir …«
    Geoff trat hinter die Rechner und erstarrte vor Entsetzen. Eric lag in einer großen Blutlache auf dem Fußboden und presste sich die Hände gegen den Bauch.
    »O mein Gott!«, rief Geoff und kniete sich neben Eric. »Ich muss sofort Hilfe holen!«
    »Nein!«, sagte Eric und packte Geoff beim Arm. »Dafür ist keine Zeit! Sie müssen mir unbedingt zuhören!« Er zog sich an Geoffs Arm hoch und lehnte sich gegen die Rechner. Erneut schüttelte ihn ein Hustenanfall. Aus seinem Mund spritzte Blut.
    »Wer hat Ihnen das angetan?«
    »Wissen Sie noch, was ich gesagt habe? Dass ein Insider sich an meinem Al… Algo…«
    »Algorithmus?«
    Eric nickte. »Ich hab es nicht geschafft, ihn zu vollenden. Ich konnte … die Lücke … nicht schließen.«
    »Eric, bitte … Wer hat Ihnen das angetan?«
    Erics Kopf sank nach vorn. Offenbar bekam er nur noch mit Mühe Luft.
    »Wer hat Ihnen das angetan?«, schrie Geoff, während er Eric bei den Revers seines blutbefleckten Smokings packte und ihn schüttelte.
    »Die Lücke …« Erics Kopf hob sich wieder. »… kann geschlossen werden. Sie können … sie schließen …«
    »Ich?«
    »Das ist … ganz einfach. Ich werde Ihnen … das Geheimnis … verraten. Ich werde