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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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allem aber wollte er sie zum Reden bringen und verlangte ständig von ihr, dass sie ihm alles erzählte, alles rausließ. Bis sie ihn schließlich bat zu gehen. »Ich muss allein sein«, hatte sie ihm gesagt. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
    Noch während sie den Satz aussprach, merkte Kate, dass er nicht stimmte. Nachdenken war das Letzte, was sie wollte. Sie wollte weder denken noch reden noch erzählen oder irgendetwas »rauslassen«. Sie wollte nichts weiter, als die ganze Geschichte mit Hattie weit von sich schieben und vergessen.
     
    Alles in allem war es wohl doch richtig gewesen, heute zur Arbeit zu gehen. Morgens hatte sie sich gezwungen, die U-Bahn zu nehmen, nachdem sie zunächst kurz erwogen hatte, mit dem Wagen zu fahren. Neil hatte sogar angerufen und ihr angeboten, sie zum Sender zu fahren, aber Kate war klar, dass sie es früher oder später ohnehin schaffen müsste, wieder in die U-Bahn zu steigen. Eine alte Reiterweisheit besagte, dass man das Pferd, das einen abgeworfen hatte, gleich wieder besteigen musste. Und genau das sagte Kate sich jetzt. Je eher sie wieder mit der U-Bahn fuhr, desto schneller würde sie sich wieder daran gewöhnen. Also hatte sie sich morgens um Viertel nach sieben auf den Weg zum Radiosender gemacht. Sie hatte bewusst einen leuchtend grünen Mantel und einen lila Schal gewählt, sah mithin deutlich fröhlicher aus, als sie sich fühlte. Und im Geiste betete sie, dass es ihr gelingen möge, die Fassung zu wahren.
    Das Schwitzen und Zittern setzte ein, kaum dass sie in Tufnell Park in den Aufzug gestiegen war. Sie hatte sich an die Seitenwand gelehnt, weil sie etwas Festes brauchte, das ihr Halt gab. Unten angekommen, ertappte sie sich dabei, wie sie sich an der Kachelwand festhielt, während sie über den Bahnsteig ging - oder sie zumindest berührte, mit einer Hand an ihr entlangstrich, ohne den Kontakt zu unterbrechen. Als wäre die Wand eine Art Talisman, der verhindern konnte, dass jemand sich an ihr vorbeidrängte und sie vor eine Bahn schubste. Oder, schlimmer noch, dass sie plötzlich wie in ihren Träumen der Impuls überkam, an die Bahnsteigkante zu rennen und sich hinunterzustürzen, wenn die Bahn einfuhr.
    In der U-Bahn hatte sie sich einen Sitzplatz in der Mitte des Wagens gesucht, möglichst weit weg von den Türen. Sie hatte beide Füße flach nebeneinandergestellt, die Sohlen gleichsam festgeklebt am Waggonboden. Ihre Ellbogen hatte sie auf die Seitenlehnen gestützt und sich so weit nach hinten auf den Sitz gesetzt, wie es ging. Sie drückte sich ihre Tasche auf den Schoß, denn sie brauchte das Gewicht, das sie auf ihrem Sitz beschwerte und ihr zusätzlichen Halt verlieh. Unterwegs wagte sie weder eine Zeitung zu lesen noch ein Buch aufzuschlagen, aus lauter Furcht, sie könne die Kontrolle verlieren, sobald sie aufhörte, sich ganz und gar auf die Fahrt zu konzentrieren. Ein Teil ihres Verstandes war nämlich davon überzeugt, dass sie, falls ihre Konzentration auch nur eine Sekunde lang nachließ, sofort aufspringen, zur Tür rennen und sich aus dem Wagen stürzen würde.
    Kate war erleichtert, als sie endlich im Sender ankam. Wieder einmal war sie vor den meisten anderen dort, früh genug, um die neugierigen Blicke der Empfangsdame sowie der Büromitarbeiter zu meiden, denen sie sonst auf dem Weg in die weniger öffentlichen Produktionsbereiche begegnet wäre. In der schäbigen kleinen Küche machte sie sich Kaffee und beschäftigte sich dann mit ihren E-Mails und den jüngsten Online-Nachrichten. Als ihre Kollegen nach und nach eintrudelten, hielt Kate den Kopf über der Arbeit gesenkt, setzte eine strenge Miene auf und schaffte es tatsächlich, sich in keine Unterhaltung verwickeln und von niemandem nach ihrem Befinden fragen zu lassen.
    Anna, die Nachrichtenredakteurin, die sie am Donnerstagmorgen angerufen und interviewt hatte, kam zwischendurch vorbei, berührte Kate lächelnd an der Schulter und sagte: »Schön, dass du wieder da bist.« Das war schon alles, doch die freundliche Geste genügte, dass Kate sich ein kleines bisschen besser fühlte. Mehr passierte nicht, bis Kate die Höreranrufe entgegennahm und ein Anrufer wissen wollte: »Wie fühlt man sich, wenn man jemandem beim Sterben zusieht?«
     
    »Bist du okay?«
    Die Stimme ihres Chefs riss sie jäh aus ihren Gedanken. Kate drehte sich auf dem Stuhl um und sah Richard, den Programmleiter, der in der offenen Studiotür stand und sie besorgt musterte. »Mann, du siehst echt beschissen

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