Irgendwo dazwischen (komplett)
Und
es gibt kein Zurück. Denn er hat den Brief. Und ich kenne Paul. Wenn ich es ihm
nicht sage, wird er ihn lesen. Ich drücke den Einlasser, lasse die Wohnungstür
einen Spalt weit offen und gehe zurück in mein Zimmer. Denn dort fühle ich mich
etwas sicherer.
Und dann höre ich, wie die Türe knarrend geöffnet und dann einen
Moment später wieder geschlossen wird. Seine Schritte nähern sich meinem
Zimmer. Er drückt die Tür auf und kommt direkt auf mich zu.
„Also?“
„Erst einmal will ich eine Sache klarstellen...“
„Und zwar?“
„Du hast zwar meinen Brief und kannst ihn lesen und dann wirst du
wissen, was mit mir los ist, aber wenn du ihn ohne meine Erlaubnis liest, werde
nicht mehr mit dir sprechen.“ Er schweigt. „Das war mein Brief. Und du hattest
nicht das Recht das zu tun...“
„Ich weiß.“
„Ich muss ein paar Dinge wissen, bevor ich etwas sage. Und wenn
die Antworten schlecht sind, werde ich es dir nicht sagen. Dann wirst du eben
meinen Brief lesen. Und wenn du das getan hast, sind wir geschiedene
Menschen...“ Er sagt nichts. Sein Trumpf scheint nichts mehr wert zu sein.
„Gut, frag...“
„Also, erstens, bist du mit Helene zusammen?“
Er schüttelt den Kopf. „Das habe ich doch schon gesagt.“
„Gut, zweitens, bist du in Helene verliebt?“
„Was hat Helene überhaupt damit zu tun?“
„Willst du wissen, was mit mir los ist?“
„Ja.“
„Dann antworte auf meine Frage...“
„Nein, ich bin nicht in sie verliebt.“ Und in diesem Moment ist
jede Zelle meines Körpers plötzlich wie betrunken.
„Warum ist sie an dein Handy gegangen, als ich dich angerufen
habe?“
„Ich war mit ihr in einem Café. Und als du angerufen hast, war ich
gerade auf dem Klo... Als ich wieder kam, war sie schon dran, und als ich
gefragt habe, wer dran ist, hast du aufgelegt...“
„Wieso hast du mich nicht zurückgerufen?“
„Erstens war ich sauer auf dich, weil du auf die Party gegangen
bist, und außerdem hatte ich Helene erzählt, dass du meine lesbische beste
Freundin bist. Sie war ohnehin schon verdutzt, dass du einfach aufgelegst.“
„Warum bist du in letzter Zeit so oft bei ihr?“
„Weil ich mit ihr reden kann.“
„Ja und worüber?“, frage ich entgeistert. „Kannst du denn
plötzlich nicht mehr mit mir reden?“
„Also erstens hast du nicht mehr mit mir geredet, und zweitens...“
Dann macht er eine Pause. „Was soll das eigentlich?“
„Und zweitens?“, bohre ich.
„Ist es denn tatsächlich so einfach?“
„Einfach?“, frage ich verwundert.
„Du bist eifersüchtig, weil ich mich mit einer andern gut
verstehe?“
„Ist das denn alles?“
„Wie, ist das denn alles?“
„Du versteht dich also nur gut mit ihr?“ Er schaut mich an. „Hast
du noch mal mit ihr geschlafen?“
„Weißt du was, Marie? Es reicht...“ Er steht auf. „Auch auf die
Gefahr hin, dass du nie wieder mit mir sprichst, ich werde jetzt gehen, und ich
werde den Brief lesen...“
Und auch ich stehe auf. „Wenn du das tust, rede ich kein Wort mehr
mit dir...“
„Das macht keinen Unterschied... du redest doch sowieso nicht mit
mir.“ Er stürmt aus meinem Zimmer.
„Paul, warte...“
Dann dreht er sich um. „Ich habe lange genug auf dich gewartet,
Marie.“ Ich bleibe stehen. „Ich habe immer nur auf dich gewartet... erst weil
ich dachte, dass du auch Gefühle für mich hättest, dann weil ich gehofft habe,
dass du eines Tages begreifen würdest, dass du doch nicht auf Frauen stehst,
und jetzt warte ich wieder... ich habe es langsam satt zu warten.“
„Bist du wirklich so dumm?“
Das schockiert ihn. Ich sehe es ihm an. „Was!?“
„Bist du so blind? Ehrlich?“
„Red endlich!“, brüllt er mich an.
„Ich will erst wissen, ob du es wirklich nicht weißt.“
„Vielleicht weiß ich es... aber vielleicht ist es auch an der Zeit,
dass du endlich mal etwas sagst...“ Und dann geht er zur Tür.
„Mein Gott, Paul!“, schreie ich ihm nach, „Was muss ich tun, damit
du kapierst, dass ich mich in dich verliebt habe? Was!?“ Er starrt mich an.
„Was muss ich machen? Reichen dir denn meine Eifersuchtsausbrüche nicht? Wie
soll ich dir sagen, dass ich mich so sehr in dich verliebt habe, dass ich es
kaum aushalten kann. Wie geht das? Wie soll man etwas aussprechen, das man
selbst nicht verstehen kann?“ Und erst dann kapiere ich, dass ich es gesagt
habe. Immer noch starrt er mich an. Und er ist genauso so fassungslos wie ich
es bin.
„Du... Du, bist
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