Irgendwo dazwischen (komplett)
wenigen freien Tische schlagen will, sehe ich
Stefan. Wie eine Fata Morgana. Und ich bin mir sicher, wenn ich näher komme,
wird er immer durchsichtiger werden, und wenn ich an diesem Tisch ankomme, wird
er nicht mehr da sein.
Er lächelt
mich an. Noch ist er nicht durchsichtig. Und auch als ich näher komme, verliert
seine Silhouette nicht an Schärfe. Nach so langer Zeit sehe ich ihn zum ersten
Mal wieder. Und er ist keine Fantasie. Er ist real.
Er steht
auf und breitet seine Arme aus. In diesen Armen bin ich unzählige Male
eingeschlafen. Ich habe mich in ihnen sicher gefühlt. Sicher und geliebt.
„Emma...“ Wir stehen einander gegenüber. Dann kommt er einen Schritt auf mich
zu und nimmt mich in die Arme.
Lange
stehen wir so da. Mein Gesicht an seiner Brust, seine Arme an meinem Rücken.
Unsere Wärme vermischt sich. Und zum ersten Mal seit langem rieche ich seinen
Duft. Er riecht genauso wie früher. Meine Augen sind geschlossen, ich inhaliere
nur diesen Duft und genieße es, dass mein Körper sich an seinen schmiegt.
Und dann
setzen wir uns. Wortlos. Wir schauen einander nur an. Und unsere Blicke
scheinen sich zu unterhalten. Sie sagen Dinge wie, schön dich zu sehen ,
oder du hast mir gefehlt , oder du siehst einfach umwerfend aus ,
oder es tut gut, dich zu sehen .
„Du riechst
gut...“ Seine Stimme klingt nicht mehr so sicher wie vorhin am Telefon.
„Danke.“
Ich frage mich, ob er dieses Parfum immer getragen hat. Denn ich muss zugeben,
dass ich das Parfum, das ich heute trage, seit einer Ewigkeit nicht mehr
verwendet habe. Ich trage es seinetwegen. Er liebte diesen Duft. „Du auch... so
vertraut.“ Er holt gerade Luft, da taucht einer von diesen unsensiblen Kellnern
auf. Ob wir denn bestellen wollen. „Also, ich nehme einen Erdbeershake...“
„Und ich
hätte gern ein Cola-Weizen...“ Der unsensible Kellner nickt kurz und
verschwindet dann in dem Meer aus Tischen.
„Wie geht
es dir?“ Ich fange mit den Fragen an, weil ich nicht weiß, was ich ihm
antworten soll, wenn er mich etwas fragt.
„Es geht
mir eigentlich ziemlich gut... ich suche nach einer Wohnung...“
„In
München?“, frage ich erstaunt.
„Ja, in
München.“
„Und wo?
Ich meine, in der Stadt oder eher weiter draußen?“ Ich frage mich, warum ich
ihm nichts von der Wohnung in Elias Haus erzähle. Aber irgendetwas hält mich
davon ab.
„Möglichst
nah an der Uni...“
„Willst du
immer noch Meeresbiologie studieren?“
Er nickt.
„Und was willst du machen?“
„Ich weiß
nicht... Ich habe nie zu den Menschen gehört, die schon im Kindergarten
wussten, was sie einmal machen wollen... Leider.“
„Aber du
hast doch noch Zeit...“
„Was denkst
du, würde zu mir passen?“
„Das ist
schwer zu sagen, weil ich dich lange nicht gesehen habe, aber ich finde, dir
könnte vielleicht Kunstgeschichte gefallen.“
„Und was
macht man mit Kunstgeschichte?“
Er lacht.
„Da gibt es viele interessante Tätigkeiten...“
„Und
welche?“
Ich höre
ihm aufmerksam zu, wie er versucht, mir Kunstgeschichte zu verkaufen. Sowas
kann er gut. Er ist ein sehr überzeugender Mensch. Und trotzdem sehe ich mich
nicht Kunstgeschichte studieren. Nicht in diesem Leben. Aber das behalte ich
für mich.
Lili
Ich stütze
mich mit den Händen auf der Klobrille ab. Der Arzt hatte recht. In machen
Fällen führt die Pille danach zu schwerer Übelkeit und Erbrechen. Ich bin einer
dieser Fälle. Elias hält meine Haare zurück. Immer und immer wieder muss ich
mich übergeben. Vor einigen Stunden habe ich noch Elias DNS in diese Schüssel
tropfen hören, und jetzt hänge ich hier und würge alles aus mir heraus. Um mich
ist alles unscharf, und meine Arme zittern unter meinem Gewicht. Tränen der
Anstrengung laufen über meine Wangen.
Es ist mir
unangenehm, dass Elias mich so sieht, aber gleichzeitig gibt mir seine Nähe
Sicherheit. So wie damals, als meine Mutter hinter mir stand, wenn es mir
schlecht ging. Nun ist er es, der mir Worte der Zuversicht ins Ohr flüstert und
mir mit seiner Hand über den Rücken streichelt. Zwischendurch höre ich, wie er
sich entschuldigt.
Zwei
Stunden später hebt mich Elias dann vom kalten Fußboden auf und trägt mich ins
Schlafzimmer. Zitternd und schwach liege ich in seinen Armen. In meinem Hals
der saure Geschmack von Erbrochenem. Ganz sachte legt er mich ins Bett. Genauso
wie damals, als wir zusammengekommen sind. Behutsam deckt er mich zu und greift
nach einem Fläschchen Pfefferminzöl.
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