Irgendwo dazwischen (komplett)
Seine Stimme zu hören, ist fast wie ein
Tagtraum. Er hat eine sanfte, warme Stimme. Er hat eine schöne Stimme. Ich habe
ihm schon immer gerne zugehört, wenn er etwas erzählt hat. Es gibt solche und
solche Stimmen. Und Stefan hat eine von diesen ganz besonderen Stimmen. Ich
muss mich umziehen. Wie in Trance gehe ich die Treppen hoch. Der muss mich für
komplett bescheuert halten, nach dem ganzen Müll, den ich von mir gegeben habe.
Erst stottere ich, dann sage ich das ist doch klasse und dann... ach was
soll’s? Ich werde mich jetzt umziehen und sehen, was der Abend so bringt. Und
auch wenn ich entspannt tue, in mir ist nichts entspannt. Nicht einmal meine
Augenlider.
Ich schaue
an mir runter und frage mich, was ich anziehen soll, aber dann wird mir klar,
dass ich mich für Stefan nicht verstellen muss. Ich hatte dieses Gefühl fast
schon vergessen. Das Gefühl, dass es jemandem tatsächlich um meine inneren
Werte geht, nicht um meinen Arsch.
Ich bleibe
so, wie ich bin. Zumindest in Sachen Kleidung. Dann gehe ich ins Bad und
schminke mich. Noch zwei Spritzer Parfum und ein paar Tropfen meines Duftöls
auf den Hals und die Innenseite meiner Handgelenke. Fertig. Ich schaue in den
Spiegel, und ich finde mich schön. Ich sehe aus wie Emma, und genauso möchte
ich aussehen, wenn ich Stefan wieder sehe.
Lili
Ich sitze
auf dem Klo und schaue mich um. Es ist dunkel, doch vom Flur spiegeln sich die
Reflektionen der Lampen in den weißen Fliesen. So also fühlt sich Erfüllung an.
Irgendwie empfinde ich den Gedanken als seltsam, dass Elias DNS gerade in die
Kloschüssel unter mir tropft. Und ich muss lächeln.
Dieses
kleine Lächeln ist so schnell verschwunden, wie es entstanden ist. Es wird
erstickt von der plötzlichen Erkenntnis, dass da gar nichts aus mir
heraustropfen sollte. Dieses Mal hat der Griff in die oberste Schublade
gefehlt, weil die oberste Schublade mitsamt Nachtkästchen noch nicht an ihren
Platz gefunden hat. Dieses Mal haben wir kein Kondom benutzt. Es ist einfach
über uns gekommen, einfach geschehen. Ganz plötzlich wird mir übel. Das Gefühl
der Erfüllung von eben scheint Jahre her zu sein. Ich spüle und gehe zurück ins
Schlafzimmer. Ich brauche keinen Spiegel um zu wissen, dass ich kreidebleich
bin. Wie konnte das bloß passieren...
Elias
stützt den Kopf in seine Hände. Mein Puls rast. Ich weiß nicht, was ich mir
erwartet hatte... Elias ist zweiundzwanzig Jahre alt, und wir sind noch nicht
lange zusammen. Dann frage ich mich plötzlich, was er tun würde, wenn ich
tatsächlich schwanger wäre. Und dann denke ich, dass ich mich sowas gar nicht
fragen darf. Die Stille zwischen uns ist wie dichter Nebel, so als wäre mit
dieser Nachricht ein pyroklastischer Strom über unsere innige Zweisamkeit
herein gebrochen. Mit brachialer Kraft walzt sich die Angst über mich, dass
Elias sich gerade fragt, ob all das mit uns vielleicht doch ein gewaltiger
Fehler ist. Dann schaut er hoch.
„Was denkst
du?“, frage ich leise. Meine Stimme klingt klein und vibriert, und meine Frage
hat den Anklang, als stellte sie ein schüchternes Mädchen.
Er sieht
mir direkt in die Augen.„Was soll ich sagen“, antwortet er nach einer kleinen
Pause.
„Das, was
du denkst...“
„Die
Wahrheit?“, fragt er vorsichtig. Das klingt nicht gut. Es klingt vielmehr so
schlecht, dass mir Tränen in die Augen steigen. Ich nicke. „Offengestanden weiß
ich grad nicht so recht, was ich denken soll“, fängt er an. Erwartungsvoll
schaue ich ihn an und schweige. „Ich meine, du bist erst achtzehn...“ Jetzt
wird er es sagen. Gleich wird er genau das sagen, was ich nicht hören will. Ich
schließe die Augen. Vor ein paar Minuten haben wir noch miteinander geschlafen,
ohne an die Folgen zu denken. Es gab nur den Moment, nur uns beide und unsere
Liebe. Oder war es Lust? Oder beides? Was es auch war, es ist weg, und anstelle
des warmen, wohligen Gefühls der Vertrautheit weht nun ein eisiger Wind
zwischen unseren Körpern hindurch. Mit angezogenen Knien sitze ich zusammen
gekauert auf den Kopfkissen, er wie ein gebrochener Mann am Fußende des Bettes.
Die Schnüre, die eben noch meine Fesseln an den Pfosten gehalten haben, baumeln
Richtung Boden. „Ich meine, was machen wir, wenn tatsächlich etwas passiert
ist?“, fragt er dann, und er kann seine Angst nicht verbergen.
„Keine
Ahnung“, antworte ich.
„Ja, das
ist ja das Problem... Ich nämlich auch nicht.“ Ich weiß nicht warum, aber ich
bin unsagbar
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