Irgendwo dazwischen (komplett)
das
sage, spüre ich, wie sich meine Augen mit Tränen füllen und lege auf. Und auf
einmal ist mir völlig klar, warum Menschen nicht vertrauen. Weil sie Recht
haben.
Emma
„Vermisst
du Kanada?“
„Ich
glaube, ich bin noch nicht lange genug weg, um es vermissen zu können...“
„Verstehe...“
„Aber ich
denke, es wird schon Dinge geben, die mir fehlen werden.“
„Was zum
Beispiel?“
„Meine
Freunde... meine Familie natürlich... aber auch das Land an sich und die
Kleinigkeiten...“
„Die
Kleinigkeiten?“
„Zum
Beispiel Dinge, die ich gerne gegessen habe, die es hier nicht gibt, oder das
kleine Café, in dem man mittags diese fantastische Pasta bekommen hat... lauter
winzige Dinge, die man mit einem Ort verbindet...“ Ich trinke einen Schluck. Er
ist wunderschön. Ich fand ihn immer schön. Vom Aussehen hat er sich kaum
verändert. Sein Stil ist ein wenig anders, und er sieht älter aus, aber
ansonsten ist er immer noch der Stefan, den ich kenne. „Bist du eigentlich noch
mit dem Kerl, den du nicht wirklich liebst zusammen?“
„Clemens?“
„Wenn er so
heißt...“
„Ja, so
heißt er, und nein, sind wir nicht...“
„Warum?“
„Ich habe
ihn bei einer Party erwischt, wie er eine angebliche Freundin von mir in einem
schrecklich gefliesten Klo von hinten genommen hat...“
„Oh...“
„Ja.“
„Hat dich
das verletzt?“
„Na ja...
ich war nicht begeistert, aber es hat mich nicht wirklich verletzt.“
„Erstaunlich.“
„Wieso? Ich
habe ihn nicht geliebt.“
„Ja schon,
aber ich wäre in meinem Stolz verletzt gewesen.“
„Wie
gesagt, ich fand es nicht toll, aber ich kann ihm eigentlich nichts vorwerfen.“
„Das
verstehe ich nicht...“
„Ich habe
in Gedanken dasselbe getan. Und ich hätte es wahrscheinlich nicht nur in
Gedanken getan, wenn du hier gewesen wärst...“ Ich bin erstaunt über meine
Ehrlichkeit. Und auch Stefan ist sprachlos. „Ich bin auf jeden Fall nicht
traurig, dass es vorbei ist.“
„Das ist
gut.“ Ich schaue mich um. Ein Großteil der Leute ist inzwischen gegangen. Wir
sind fast allein. „Es ist unglaublich heiß, dafür, dass es schon so spät ist.“
„Das
stimmt... Ich zerfließe auch...“
„Hast du
noch was vor?“
„Nein,
warum?“
„Wir
könnten noch zum Lußsee fahren, wenn du magst.“
„Meinst du
jetzt gleich?“
„Warum
nicht?“
Erst zögere
ich, stimme dann aber zu. „Okay, dann lass uns austrinken...“ Wir trinken aus
und rufen den Kellner zu uns. Stefan bezahlt für uns beide, obwohl ich
protestierte, dann schlendern wir zum Ausgang.
„Du bist
mit dem Fahrrad hier?“, fragt er amüsiert.
„Lia hat
das Auto... Wie immer...“
„Mein Auto
steht da drüben...“ Wir steigen in seinen Golf und fahren in Richtung
Verdistraße. Mit weit geöffneten Fenstern und Musik jagen wir über die
Autobahn. Und ich bin nicht nervös. Warum bin ich nicht nervös? Ist es, weil
ich Stefan kenne? Oder ist es, weil ich mich bei ihm wohl fühle? Was empfinde
ich für Stefan? Ich kann es nicht sagen. Ja, ich fühle mich zu ihm hingezogen,
aber das war schon immer so. Und ja, er erregt mich. Aber ist da noch mehr? Ich
war mir so sicher, wenn ich ihn erst einmal sehen würde, wäre alles klar. Ich
dachte, ich würde ihn sehen, und die Kruste um mein Herz würde aufreißen und
alte Gefühle wieder auferstehen lassen. Aber so war es nicht. Ich bin verwirrt.
Und ich frage mich, wie es in Stefan aussieht.
Er fährt
auf den Parkplatz. Um den See sind ein paar vereinzelte Lagerfeuer zu sehen,
und eine Mischung von Musikrichtungen tanzt über das Wasser. Er parkt in der
Nähe eines Weges.
„Ist alles
okay, Emma?“
„Sicher...“
Ich weiß
nicht, ob alles okay ist, aber ich wüsste nicht, was sein sollte, also ist
meine Antwort nicht wirklich gelogen. Wir gehen in Richtung Kiesstrand, und
plötzlich greift Stefan nach meiner Hand. Ich erwidere den Druck und genieße
es, seine weiche Hand in meiner zu spüren. Mit dem Daumen streichelt er über
meinen Handrücken. Ich schaue zu ihm hoch. Er lächelt. Und dann schlendern wir
gemeinsam zum Ufer.
Marie
Ich sitze
an der Bushaltestelle. Hätte ich doch ein Auto. Hätte ich doch bloß ein Auto.
Was bringt einem ein Führerschein, wenn man kein Auto hat? Nie hätte ich
gedacht, dass ich Paul hassen könnte. Aber ich habe mich getäuscht. Ich kann es
sogar ziemlich gut. Mein Verstand kann verstehen, warum er es mir nicht gesagt
hat. Manchmal wünschte ich, mein Herz hätte
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