Irgendwo dazwischen (komplett)
angeschnauzt. Zumindest nicht ohne Grund.
Fassungslos
starre ich ihn an. Dann wende ich mich ab, hole meine Sachen aus seinem Zimmer
und verlasse wortlos die Wohnung. Und wenn er keine gute Erklärung für dieses
Verhalten hat, dann auch gleich ihn.
Lili
Im Flur
knarzt der Parkettboden unter Elias Schritten. „Lili?“ Seine Stimme klingt
beschämt.
„Ich bin im
Wohnzimmer...“ Er schiebt die Tür auf und setzt sich zu mir an den Tisch. Lange
sagen wir beide kein Wort.
„Es tut mir
Leid.“, flüstert er schließlich.
„Was genau
tut dir Leid?“, frage ich kalt.
„Ich habe
mich daneben benommen... Ich liebe dich, und ich wollte dir mit meiner Reaktion
nicht wehtun, wir sind aber einfach beide so jung.“ Er schaut mich an.
„Verstehst du mich?“
„Ich möchte
mir die Pille danach verschreiben lassen, und ich möchte, dass du mich zur
Klinik bringst.“ Ich bin selbst überrascht über meinen sachlichen Tonfall.
Elias Blick zu deuten, ist nicht einfach. In seinen dunklen Augen vermischen
sich Erleichterung und Fassungslosigkeit.
„Bist du
dir da sicher?“
„Was
schlägst du denn vor?“, frage ich zurück. „Einfach warten und schauen, was
passiert?“ Er schüttelt den Kopf. „Ich hatte meine Tage vor fast zwei Wochen,
das heißt, ich bin in der Mitte meines Zyklus. Ich denke, ich brauche dir nicht
zu erklären, was das heißt...“
„Ich liebe
dich... Das weißt du, oder?“
Ich weiche
seinem Blick aus. Weiß ich das? Dann schaue ich in seine tiefbraunen Augen.
„Lass uns fahren.“
Emma
Der Wind
pfeift mir um die Ohren, es ist dunkel. Doch es ist nicht pechschwarze Nacht,
denn es ist Sommer. Ich will früher da sein als Stefan. Ich will nicht die
sein, die ihn suchen muss, ich will die sein, die entspannt an einem schönen
Tisch sitzt und gefunden wird. Nicht, dass das Corretto so groß wäre, aber wenn
es voll ist, findet man sich nicht immer gleich. Wir waren früher oft dort.
Jetzt nicht mehr. Das liegt zum einen sicher daran, dass Stefan nach Kanada
gezogen ist, Lili eine Beziehung hat, und ich nicht alleine gehen würde, zum
anderen sind die Kellner dort unfreundlich. Das waren sie nicht immer. Anfangs
waren sie aufmerksam und schnell. Jetzt sind die meisten unhöflich und schauen
einen grimmig an, wenn man für den miserablen Service, den sie einem bieten,
kein exorbitantes Trinkgeld springen lässt.
Ich biege
in die Heerstraße ein. Mein Fahrrad macht bei jeder Rechtskurve knackende
Geräusche. Solange es nicht auseinanderfällt, soll es das ruhig tun. Marie mag
diese Straße nicht. Und das nicht wegen der Straße an sich, sondern weil hier
die Person gewohnt hat, die ihr die Grundschulzeit zur Hölle gemacht hat. Immer
wenn ich hier durch fahre, denke ich an Marie. Und ich frage mich, warum ein
Kind ein anderes so behandelt. Marie hat ihr sicher nie etwas getan. Was geht
in einem Kind vor, das sich selbst so sehr hasst, dass es andere Kinder klein
machen muss, um sich selbst größer zu fühlen? Marie hat einmal gesagt, sie sei
inzwischen davon überzeugt, dass es nichts mit ihr zu tun gehabt hätte. Manche
Kinder quälen Tiere, andere eben Kinder.
Ich kenne
dieses Miststück nicht persönlich. Aber Marie hat gehört, dass sie vorhat,
Medizin zu studieren. Vielleicht ist das die Lösung. Wenn man selbst kein Herz
hat, setzt man anderen eines ein. Man ist ein Halbgott in Weiß. Man bekommt
endlich die Anerkennung und den Respekt gezollt, den man braucht, um die
eigenen Minderwertigkeitskomplexe endlich zum Schweigen zu bringen.
Wenn ich
einmal operiert werden muss, hoffe ich, dass ich nicht an einen solchen Arzt
gerate, sondern an einen, der ein Herz hat. An einen, der durch diesen Beruf
nicht sein Ego stärken, sondern anderen helfen will.
Ich biege
in die Waldhornstraße ein, vorbei an der Kirche und der Grundschule. Und dann
sehe ich schon die Terrasse des Restaurants. Kleine orange-rot-gelbe Flecken
schweben in der Nacht. Die Fackeln verströmen ein warmes, weiches Licht. Ich
stelle mein Rad ab und wickle das lange Schloss um den Rahmen und ein
Verkehrsschild, dann schlendere ich die letzten Meter zum Eingang.
Und ich bin
nicht nervös. Ich bin entspannt und fühle mich erfrischt. So als hätte ich
gerade in einem kühlen See gebadet. Ich steige die Steinstufen hinauf und
schaue mich zwischen den Menschen, die schon lachend und essend und trinkend
und redend im Schein der Fackeln sitzen, nach einem schönen Tisch um. Und dann,
als ich mich gerade zu einem der
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