Irgendwo dazwischen (komplett)
Emma ihm diesen Gefallen getan hat, weiß ich
wenigstens, dass er mich nicht wirklich ihretwegen verlassen hat. Emma ist
einfach gut für gewisse Stunden...“ Das ist hart. So hart können wohl nur
Schwestern sein. Das denke ich zumindest. Plötzlich wirkt Leni abwesend. „Es
klingt vielleicht, als würde ich Emma hassen“, sagt sie dann nach einer Weile,
„aber das tue ich nicht...“
„Natürlich nicht“, sage ich kopfschüttelnd.
„Es ist nur so, dass sie ihren Fehler von damals nie eingesehen
hat, und wenn doch, hat sie ihn mir gegenüber nie zugegeben...“
„Sie ist nicht gut darin, Fehler einzugestehen. Das heißt aber
nicht, dass sie es nicht weiß“, antworte ich nach einer Weile. „Emma ist sehr
viel empfindsamer, als man meinen würde. Ich bin mir sicher, dass es ihr Leid
tut.“
„Vielleicht tue ich ihr unrecht, aber das glaube ich nicht...
andererseits, kennst du sie vermutlich um Einiges besser als ich. Vielleicht
besser als irgendjemand sonst.“ Nachdem sie das sagt, schweigt sie wieder.
„Leni, kann ich dich etwas fragen?“ Leni schaut mich an und
lächelt. „Wie lange weißt du schon, dass Elias an mir interessiert ist?“
„Etwa ein Jahr...“
„Was? So lange schon?“ Ich kann das kaum fassen.
„Warum sonst hat ein Kerl wie Elias so lange keine Freundin?
Sicher nicht aus einem Mangel an Möglichkeiten.“ Sie lächelt.
„Leni“, flüstert Kaya, „Da kommt Clemens.“ Leni dreht sich um. Sie
sieht ihn an, und ich kann diesen Blick nicht deuten. Minimal ist da ein
Lächeln zu erkennen, betrachtet man die Augen jedoch, ist der Gesichtsausdruck
vollkommen neutral.
„Clemens“, sagt Leni.
„Leni“, entgegnet er. Seine Mimik ist da schon eindeutiger. Er strahlt
sie an. Es ist ein fordernder Ausdruck in seinen Augen. Sie wendet sich ab.
„Lili. Schön dich zu sehen“, richtet er sich dann an mich.
„Ähm, ja... Schön dich zu sehen, Clemens“, antworte ich, und ich
klinge ein wenig verdutzt, als ich das sage. Das war zweifellos eine seltsame
Situation. Ein elektrisches Knistern, als stünde die laue Luft unter Strom.
„Ist da was zwischen dir und Clemens?“, frage ich nach einer Weile. Und auch,
wenn die Frage mir seltsam erscheint, weil ich Leni nicht gut kenne, so denke
ich, hatten die Spannungen von eben nichts mit Kaya oder mir zu tun. Rache wäre
in diesem Fall auch nichts wirklich Unverständliches. Emma hat dasselbe getan.
„Ich weiß, wie es aussieht, aber die Antwort ist nein. Auch wenn
es ein verführerischer Gedanke wäre... So was tue ich nicht.“
„Es ist ja nicht so, dass ich davon ausgegangen wäre, dass du es
darauf angelegt hast, aber Kaya hat so verheißungsvoll geflüstert, als wärst du
an ihm interessiert...“
„Sagen wir so, er gefällt mir. Er gefällt mir sogar sehr. Man
könnte sagen, er ist der erste seit Timo, der mir wirklich gefällt.“
„Du bist in ihn verliebt?“
„Keine Ahnung... es ist ohnehin egal. Clemens ist Emmas Freund.“
Leni ist einfach unglaublich. Frauen mit Prinzipien werden nicht umsonst so
begehrt, ob nun in der Literatur oder im echten Leben.
„Ich will dir nicht zu nahe treten“, sage ich dann etwas
kleinlaut, „aber wenn man nicht weiß, ob man in jemanden verliebt ist, ist man
es meistens doch. Weil wenn man es nicht ist, weiß man es eindeutig. Alles dazwischen
ist meistens ein Leugnen von Tatsachen...“
„Elias?“
„Ich habe über Wochen versucht, mir klar zu machen, dass ich zwar
tiefe, aber rein platonische Gefühle für ihn habe.
Ich habe mir eine ganze Zeit eingeredet, ziemlich erfolgreich nebenbei bemerkt,
dass diese absolut unschuldigen Gefühle eher etwas von der Liebe unter
Geschwistern haben... Marie wusste, dass das Blödsinn ist... Sie wusste es
schon lange vor mir. Zumindest lange, bevor ich es mir eingestanden habe...“
„Sagen wir mal so“, geht Leni auf meine Aussage ein, „ich weiß
genau, was ich für Clemens empfinde. Und ich hatte diese Gefühle schon, bevor
Emma und er zusammengekommen sind. Letzten Endes ist es trotzdem egal, denn er
ist vergeben. Und sogar wenn er sich dazu entschließen würde, sie meinetwegen
zu verlassen, würde ich ihn nicht wollen. Und auch dann nicht, wenn er aus
einem anderen Grund mit ihr Schluss machen würde. Denn er hat mit ihr
geschlafen. Ich weiß, dass ich den Gedanken nicht ertragen würde, dass er schon
in meiner Schwester zu Gange war. Du siehst also, er steht so oder so nicht zur
Debatte.“
„Sieht er das auch so?“,
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