Irgendwo dazwischen (komplett)
ihr war ich zum
ersten Mal richtig besoffen. Mit ihr wurde die Nacht zum Tag. Mit ihr habe ich
den Tag verträumt. Sie war die Schwester, die ich immer gerne gehabt hätte. Wir
wollten immer den Traummann, und nun, wo wir ihn haben, ist unsere Freundschaft
der Preis, den wir für unser Glück zahlen müssen. Ja, ich habe Emma immer im
Stillen beneidet und war eifersüchtig auf sie, aber ich habe sie geliebt. Ich
liebe sie noch. Seit ich denken kann, ist da Emma. Und auch, wenn die
Freundschaft zu Marie irgendwie spezieller ist, so ist sie mir trotzdem nicht
wichtiger. Das ist schwierig zu beschreiben. „Du wirkst so nachdenklich, Lili“,
reißt mich Lenis Stimme aus meinen melancholischen Gedanken.
„Ich bin nur müde“, lüge ich, weil ich keine Lust habe, die
Emma-Geschichte aufzurollen. Ich bereue nicht, dass Elias und ich zusammen
sind. Im Gegenteil. Ich bereue nur, dass ich meine Emma verloren habe.
Mich trifft, dass wir uns so schwach verhalten. Ich wünschte, wir
würden einen Weg finden. Aber dafür müssten wir den jeweils anderen sehen, und
das bedeutet, sich selbst weniger wichtig zu nehmen und Reife zu zeigen. Und im
Moment weiß ich, dass wir das beide nicht können. Denn weder sie noch ich sind
bereit einzugestehen, dass wir Fehler gemacht haben – zumindest nicht vor
jemand anderem als uns selbst. Denn ganz tief drin wissen wir das. Ich weiß,
dass ich mit Emma hätte reden müssen. Ich hätte ihr von meinen Gefühlen für
Elias erzählen müssen. Ich hätte ihr vertrauen, sie einweihen müssen.
Stattdessen habe ich sie durch meine Unehrlichkeit beleidigt. Ich habe sie nie
gefragt, warum es so schlimm für sie wäre, wenn Elias und ich zusammen wären.
Ich wollte ihre Gründe nicht wissen, weil sie mich vielleicht von meinem Glück abgehalten
hätten. Ich hatte Angst, dass sie von Anfang an dagegen gewesen wäre und ich
mich wieder in ihren Schatten gestellt hätte. Trotzdem hätte ich das nicht tun
sollen. Ich hätte reinen Tisch machen sollen. Sie hat das nicht verdient. Und
ich habe nie wirklich viel für Clemens empfunden. Das hätte ich ihr sagen
sollen, damit sie ihr Glück wirklich genießen kann, aber auch das habe ich
nicht getan. Wer weiß, vielleicht bekomme ich irgendwann meine Chance, ihr all
das zu sagen. Wann das sein wird, und ob das überhaupt passieren wird, kann ich
nicht sagen. Aber ich wünsche es mir von Herzen. Denn sie fehlt mir.
Als ich aus dem Auto steige, höre ich schon laute Musik und
schrilles Lachen. Einige Leute sitzen im Vorgarten und sind alternativ. Lange
Haare, Gitarrenmusik, der Duft von Joints und tiefschürfende Gespräche über die
Negation überirdischer Existenz. Ich habe nichts gegen lange Haare,
Gitarrenmusik, oder tiefschürfende Gespräche. Nur leider empfinde ich diese
Gespräche meistens nicht als besonders tiefgründig, sondern eher als banal.
Einmal habe ich ein solches Gespräch mitangehört. Es ging um das barbarische
Verhalten der Gottesanbeterin, die das Männchen nach vollzogenem Akt auffrisst.
Das ist nun einmal der Lauf der Natur. Kein Mensch setzt sich für die arme
Antilope ein, die vom bösen Löwen zerfleischt wird. Das ist normal. Es geht um
die Tatsache, dass das Weibchen das Männchen erledigt, sonst nichts. Und dieser
Fakt ist wohl wider die Natur.
Wie dem auch sei. Als ich mich an den Alternativen vorbei in
Richtung Haustüre schiebe, kommt noch etwas Schlimmeres als tiefschürfende
Kommentare über die Brutalität der Gottesanbeterin. Ich sehe Ella. Und wenn
Ella da ist, kann Emma nicht weit sein. Leni tippt mich an und deutet mit dem
Kopf in Richtung Flur. „Da ist Ella“, sagt sie leise.
„Ich habe sie auch eben gesehen“, antworte ich mit finsterer
Miene.
„Willst du lieber gehen?“ Aber auch wenn ich gerne gehen möchte,
kann ich es nicht mehr tun. Es ist zu spät. Denn Ella hat mich gerade entdeckt.
Sie wirft mir einen vielsagenden Blick zu und verschwindet in einem der Zimmer,
die vom Flur abgehen.
Emma
Sie lacht über jeden seiner Witze, und so komisch ist er auch
wieder nicht. Ella ist echt eine hinterhältige Schlange. Sie lächelt mich an,
obwohl sie wünschte, ich wäre nicht da. Ich hasse solche Parties. Sie waren
immer nur mit Lili auszuhalten. Mit ihr habe ich mich über andere Leute lustig
gemacht. Wir standen immer abseits und haben uns über den Tanzstil anderer
ausgelassen. Wir haben manchmal so gelacht, dass ich nicht mehr atmen konnte.
Ich vermisse das und ich vermisse sie. „Ist alles okay,
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