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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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auch wirklich ungesehen zu erreichen, und ich maßte mir zwar nicht an, auch nur einen nennenswerten Bruchteil dessen zu verstehen, was er im Anschluss weitschweifig erklärte – aber wer war ich zu widersprechen, wenn weder Adler noch Watson sein Veto einlegte?
    Auch wenn mir der Gedanke, die Hände in den Schoß zu legen und tatenlos abzuwarten, schier unerträglich war – wie lange konnte es schon dauern, bis das nächste Gewitter kam?
    Lange.
    Allein dreimal am ersten Tag zog sich der Himmel weit genug zu, um mir Hoffnung auf das ersehnte Unwetter zu machen, und einmal wetterleuchtete es sogar hinter dem Horizont, und ich bildete mir wenigstens ein, ein fernes Donnergrollen zu hören. Aber dabei blieb es auch. Der Winter nahte mit Riesenschritten, was an den ständig fallenden Temperaturen draußen und in meiner Zelle deutlich zu spüren war, aber bis zu den ersten Frühjahrsstürmen konnten noch Monate vergehen, und an wirklich schwere Gewitter mitten im Winter konnte ich mich auch nicht erinnern.
    Ich versuchte mich abzulenken, indem ich Streifzüge durch das Institut unternahm, die jedoch meistens vor verschlossenen Gittertüren oder in längst leer stehenden Räumen endeten. Die beiden einzigen Male, in denen ich meinen Bewachern entwischte und nicht an einer abgeschlossenen Tür scheiterte, erinnerte mich das, was ich zu sehen bekam, derart an Allisons Worte über den Umgang der Gesellschaft mit allen, die nicht in die kommende schöne neue Welt passten, dass mir die Lust auf weitere Exkursionen verging.
    Immerhin hatte uns Adler verlassen, nachdem seine improvisierte Quarantäne überflüssig geworden war. Er hatte zwar angedroht, stets in der Nähe eines Telefonapparates zu bleiben und beim ersten Anzeichen schlechten Wetters (mit Verstärkung) zurückzukommen, aber für die nächsten Tage gab es zumindest niemand mehr in meiner unmittelbaren Nähe, der nur darauf wartete, dass ich mich auf die eine oder andere Weise verplapperte.
    Quasi als Ausgleich machte ich wieder einmal Bekanntschaft mit etwas, das mir keineswegs neu war, ich aber immer schon gefürchtet habe: der Langeweile. Ich versuchte zu lesen, doch wie sich zeigte, war den Patienten hier der Luxus einer Tageszeitung nicht vergönnt, und die Krankenhausbibliothek bot lediglich eine erbärmlich kleine Auswahl zerlesener Romane, von denen mich kein einziger interessierte. Meine diversen Versuche, mit meinen uniformierten Bewachern ins Gespräch zu kommen, blieben fruchtlos, und ich nahm an, dass Adler den Männern mit standrechtlichem Erschießen oder doch zumindest öffentlicher Auspeitschung gedroht hatte, für den Fall, dass sie mir auch nur die korrekte Uhrzeit verrieten.
    Watson zeigte sich nur am ersten Morgen, um meine diversen Wehwehchen und Schrammen zu untersuchen und neu zu verbinden, danach überließ er diese lästige Pflicht Mulligan, der sie zwar erstaunlich gekonnt erfüllte, für meinen Geschmack aber eindeutig zu grob, sodass ich meine ohnehin nur noch oberflächlichen Blessuren doch lieber selbst behandelte.
    Am mittlerweile vierten Morgen wurde ich von einem sehr nervösen Mulligan geweckt, der mir mitteilte, dass der Doktor und Nikola mich sehen wollten. Ich blinzelte mir den Schlaf aus den Augen und warf einen hoffnungsvollen Blick zum Fenster hoch, aber das Grau hinter den verdreckten Scheiben war nur der normale trübe Herbsthimmel über Belfast, nicht der Vorbote des Gewitters, auf das wir alle so dringend warteten. Mulligan hatte schon wieder meine Zelle verlassen und wartete draußen auf dem Flur darauf, dass ich seiner Aufforderung Folge leistete.
    Das tat ich auch, allerdings deutlich langsamer als nötig, denn in den zurückliegenden Tagen hatte ich mich doch sehr über diesen starrsinnigen Burschen geärgert. Mulligan war mir nicht nur nach Kräften aus dem Weg gegangen, sondern schien bei den wenigen Gelegenheiten, die ich ihn hatte festnageln können, seine Zunge verschluckt zu haben, denn er hatte nicht einmal auf direkte Fragen geantwortet. Sollte er doch einmal am eigenen Leib spüren, wie es sich anfühlte, wie Luft behandelt zu werden!
    Natürlich meldete sich sofort meine Vernunft und machte mir klar, dass ich mir damit selbst keinen Gefallen tat, aber nach drei Tagen mentaler Einzelhaft und nagender Sorge um Allison war ich nicht mehr in der Stimmung für Vernunft. So verbrachte ich etliche weitere Minuten damit, mich in aller Ruhe mit dem kalten Wasser aus meiner Waschschüssel zu waschen, und noch eine

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