Irrflug
diesen Betriebsprüfer im Hause sitzen. Ein penetranter Bursche. Du hast keine Ahnung, worin der überall rumschnüffelt. Heut’ hat er schon wieder neue Fragen gestellt, die ich beantworten muss.”
„Entschuldige, Olaf, es war nur so ein Gefühl, das ich dir einfach mal sagen musste. Wir haben uns doch versprochen, über alles zu reden.”
„Das ist auch gut so”, sagte er, „aber leider, ja, leider, geht manchmal das Geschäft vor. Wenn auch nur in seltenen Fällen. Aber du kannst dir vorstellen, dass in einem so großen Unternehmen, wie es dein Mann ausgetüftelt hat, mit vielen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, mit einem zigfachen Engagement im Ausland, dass es da ein undurchschaubares Steuerwirrwarr gibt. Ein Fehler und der Staat zockt uns ab. Und zwar gnadenlos. Dies anzuzetteln, ist die Aufgabe dieses Amtsschimmels, der jeden Beleg viermal rumdreht.”
Jetzt zuckte der erste Blitz, aber der Donner folgte viel später. Einige Gäste verließen die Terrasse, eine Bedienung klappte die Sonnenschirme zu.
„Aber irgendwann”, hakte Melanie noch einmal nach, „irgendwann, Olaf, müssen wir den Absprung schaffen.”
„Lass’ uns den Abend genießen und die Probleme vergessen.” Er versuchte abzulenken. „Wie lange ist uns heute gegönnt?”
„Ich hab’ ihm gesagt, dass ich spätestens um halb elf zurück sein werde. Da ist’s nämlich dunkel und ich kann ihm kaum länger einreden, ich sei so lange mit meiner Freundin im Wald gewesen.”
Er lächelte wieder. „Und dass du’s mit mir warst, das soll ja schließlich unser kleines Geheimnis bleiben.” In diesem Moment krachte der erste kräftige Donner. Da wurde ihr plötzlich bewusst: „Wenn’s jetzt zu regnen anfängt, muss ich früher zurück. Der glaubt mir doch nicht, dass ich mit meiner Freundin im Regen rumlaufe.”
August Häberle und sein Kollege Mike Linkohr fuhren dem Unwetter entgegen – wieder westwärts und damit zurück nach Göppingen. Die Autos kamen ihnen bereits mit Licht entgegen, obwohl es noch nicht regnete. Doch am Himmel waren tief dunkelblaue Wolken aufgezogen, überall zuckten Blitze.
„Wenn jetzt bloß nicht der Sommer schon wieder vorbei ist”, meinte Häberle, als er kurz vor Göppingen an den großen Baumärkten vorbeifuhr.
„Wie’s letztes Jahr war”, stellte Linkohr fest, „im Juni ein paar Wochen schön und danach meist nur noch Sudelwetter.”
Der Wind hatte sich jetzt zu einem Sturm aufgebaut. Die Böenwalze, die jedem Gewitter vorausgeht, war im Filstal eingetroffen. Wenig später klatschten die ersten dicken Regentropfen gegen die Windschutzscheibe.
„Es soll heute der bisher heißeste Juni-Tag in der Nachkriegszeit gewesen sein”, sagte Linkohr und schaute auf seine Armbanduhr. Es war jetzt kurz vor 21 Uhr. Sie hatten den letzten Besuch, den sie sich vorgenommen hatten, absichtlich so spät gelegt, weil es sich bei der Person, die sie vernehmen wollten, offenbar um eine Gastwirtin handelte, die sie um diese Zeit mit Sicherheit antreffen würden. Auch ihren Namen hatte der Chef der Motorflugschule auf seiner Liste angekreuzt und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie möglicherweise Angaben über die Tote von der Hahnweide machen könnte.
„Fragen Sie mal bei den Kollegen nach, ob’s was Neues gibt”, sagte Häberle, als er auf die erste Ampel nach dem Göppinger Ortseingang zusteuerte.
Linkohr betätigte sofort das Funkgerät und rief die ›Sonderkommission Hahnweide‹. Wenig später erfüllte die krächzende Stimme eines Mannes den Kripo-Wagen.
„Haben Sie neue Erkenntnisse?”, wollte Häberles Kollege wissen.
„Negativ”, antwortete der Beamte aus dem Kirchheimer Quartier der Sonderkommission.
„Was hat die Spurensicherung erbracht?”
„Nichts Verwertbares, weder auf der Hahnweide noch auf Berneck. Und auch im Flugzeug gibt’s keine vernünftige Spur. Das Flugzeug wird ständig von so vielen Piloten benutzt, dass man unzählige Fingerabdrücke findet. Wir haben zwar alle sicherstellen lassen, aber bei all’ dem, wie der Täter vorgegangen ist, wird er kaum so dilettantisch gewesen sein und keine Handschuhe getragen haben.”
„Okay, Kollegen”, sagte Linkohr.
Häberle wandte sich ihm beim Losfahren an der Ampel zu: „Sagen Sie ihnen, sie sollen sich ablösen lassen oder Feierabend machen, falls nichts Dringendes mehr anliegt.” Der Angesprochene gab die Anweisung weiter und beendete das Gespräch.
Häberle meinte, es mache keinen Sinn, sich die ganze
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