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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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verächtlich gemacht, nennst mich einen Lügner, weil ich unser Wochenende an der Mosel als Offenbarung eines Geheimnisses empfunden habe. Ich kann Dich sogar verstehen, denn ich weiß, dass ich Dich sehr verletzt habe. Du hast mir den Krieg erklärt. Ich bitte Dich um Verzeihung und weiß, dass ich Dich damit überfordere. Trotz allem: Ich bitte Dich, uns ohne Krieg auseinandergehen zu lassen. Du wirst mich vergessen und einen Menschen kennenlernen, der Dich liebt und ehrt und Deiner würdig ist. Ich bin es nicht. Pierre
    Stephan gab Ylberi die Hülle zurück.
    »Wieder keine eigenhändige Unterschrift«, sagte Ylberi. »Aber darüber wundere ich mich nicht mehr. Doch der Brief beweist etwas: Es ist mir sofort aufgefallen, als ich ihn gelesen hatte.«
    Seine Stimme hatte sich triumphierend gehoben. Er machte wieder eine Pause und prüfte erneut Stephans Aufmerksamkeit.
    »Der Brief ist direkt an Franziska adressiert«, sagte Stephan. »Also kein Umweg über die Chiffreadresse.«
    »Richtig«, bestätigte Ylberi. »Das ist auf den ersten Blick eine neue Variante, aber sie ist letztlich nicht bedeutsam. Entscheidend ist Folgendes, Herr Knobel: Der Brief, den Sie gerade gelesen haben, nimmt inhaltlich auch Bezug auf den ersten, den Frau Rühl-Brossard als Ausdruck im Zimmer ihres Mannes in der Dortmunder Wohnung gefunden hat und das Datum 15. Oktober trägt. Dort heißt es nämlich, dass Pierre seinen Aufenthalt mit Franziska an der Mosel als Offenbarung eines Geheimnisses bezeichnet hat. Aber man muss das genau lesen!«, betonte er. Ylberi blätterte in der Akte, bis er das Schriftstück gefunden hatte, überflog die Zeilen, dann zitierte er aus dem früheren Brief: »Heute erkenne ich die Bedeutung dieses Wochenendes: Es war die Offenbarung eines Geheimnisses.«
    Ylberi legte die Akte aus der Hand.
    »Aus dieser Formulierung schließe ich, dass er diese Worte erstmals in seinem Schreiben vom 15. Oktober gewählt hat«, erklärte er. »Aber wir wissen von dem Redakteur der Anzeigenabteilung von Kult-Mund, dass dieser erste, vom 15.10. datierte Brief dort nicht angekommen ist. Der Brief wäre Hilbig aufgefallen. Seine Argumentation ist nachvollziehbar. Also ist der Brief vom 15. Oktober auch nie bei Franziska angekommen. Damit kann sie von der ›Offenbarung des Geheimnisses‹ nichts wissen, und daraus folgt, dass sie Pierre auch nicht in Bezug auf diese Worte einen Lügner geschimpft haben kann, was sie ausweislich des zweiten Briefes aber getan haben soll. Wir können es kurz machen: Ich vermute, dass beide Briefe nie abgesandt worden sind – und auch nie abgesandt werden sollten. Deshalb ist der Umstand, dass der Ausdruck des vermeintlich zweiten Briefes an Franziska ihre Wohnadresse enthält, auch nicht von entscheidender Bedeutung. Er ist Franziska nie zugegangen. Beide Briefe scheinen eher Requisiten eines Theaterstücks zu sein, Herr Knobel. Ich bin gespannt, was unsere Spurentechniker herausfinden. Zum ersten Brief – oder besser: dem von Frau Rühl-Brossard übergebenen Ausdruck des ersten Briefes – haben wir bereits ein bemerkenswertes Ergebnis: Darauf befinden sich ausschließlich die Fingerabdrücke Ihrer Mandantin und diejenigen Ihrer Freundin Marie Schwarz, die den Brief vermutlich vor ihrem Besuch mit Frau Rühl-Brossard bei mir in ihren Händen gehalten hatte. Dass es nur die Fingerabdrücke dieser beiden Frauen sind, wissen wir aus einem Abgleich mit den Fingerabdrücken auf den Kugelschreibern, die wir Frau Schwarz und Frau Rühl-Brossard zur Unterzeichnung ihrer Aussagen gegeben haben: Ein schwarzer Kuli für Frau Schwarz, ein blauer für Frau Rühl-Brossard.« Er lachte. »So gewinnen wir häufig Fingerabdrücke, ohne dass wir sie offiziell nehmen müssen. – Es stellt sich doch die Frage, warum sich kein weiterer Abdruck auf dem Papier befindet. Pierre Brossard müsste den Ausdruck doch in die Hand genommen und dorthin gelegt haben, wo ihn seine Frau gefunden haben will.«
    Stephan merkte, dass sich das Blatt zu drehen und sich nach Ylberis Worten die Ermittlungen gegen seine Mandantin zu richten begannen.
    »Sie glauben also, dass es gar keine Wende in der Beziehung zwischen Pierre und Franziska gegeben hat?«, fragte Stephan.
    »Vielleicht auch gar keine Beziehung«, ging Ylberi noch weiter. »Daniel hat ausgesagt, dass Franziska niemals über längere Zeit hinweg allein weg gewesen sei. Sie sei nach dem Dienst pünktlich nach Hause gekommen und an den Wochenenden nicht allein fort gewesen

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