Irrliebe
– bis auf das eine Wochenende Ende August, für das die Freundin Frauke aus Frankfurt ein Alibi verschaffen sollte. Wenn man eine Beziehung unterhält, muss man doch auch Zeit füreinander haben, oder? Daniel hat nichts bemerkt, aber das sollte er natürlich auch nicht. Franziska selbst legte ja Wert darauf, dass er nicht einmal von den Chiffrezuschriften erfahren konnte. Dennoch: Irgendwie hätte die Beziehung zwischen Franziska und Pierre auch gelebt werden müssen. Das braucht Zeit. Wir werden Daniel mit der Chiffre-Geschichte konfrontieren müssen. Die Ermittlungen haben Vorrang. Bisher wissen wir nur, dass Franziska unter der Chiffrenummer 0829 eine Anzeige mit dem uns bekannten Wortlaut aufgegeben hat. Aber wir haben keine Erkenntnis, dass Pierre Brossard tatsächlich auf dieses Inserat geantwortet hat. Es sind weder in der Wohnung von Franziska und Daniel noch sonstwo Briefe von Pierre aufgefunden worden. Sie müsste ja zumindest den ersten Brief von Pierre erhalten haben, mit dem er auf die Anzeige geantwortet hat.«
»Aber es sind auch nicht die Zuschriften der anderen Interessenten gefunden worden«, gab Stephan zu bedenken.
»Jedenfalls fehlt jeder Beweis, dass es zwischen den beiden zu irgendeinem Kontakt, dann zu der leidenschaftlichen Beziehung und schließlich zu dem fast theatralisch dargestellten Zerwürfnis gekommen ist, von dessen Existenz uns der Computerausdruck dieses obskuren Briefes glauben machen will«, schloss Ylberi.
»Franziska und Pierre haben sich gekannt«, trumpfte Stephan auf. Er holte die Postkarte hervor und legte sie wie eine Trophäe auf den Tisch.
»Beide waren zusammen in Traben-Trarbach«, überraschte er Ylberi. »Dort waren sie auch zelten.« Stephan berichtete nüchtern, woher die Postkarte stammte und was er und Marie an der Mosel erfahren hatten.
Ylberi studierte Motiv und Text der Karte, dann steckte er sie in eine gesonderte Folientasche und nahm sie fast missmutig zur Akte.
»Sie erzählen nichts freiwillig«, bemerkte er vorwurfsvoll. »Die Karte ist Spurenträger, das wissen Sie doch. Und es ist Ihnen bekannt, dass ein Ausflug an die Mosel in dem einen der Briefe von Pierre eine Rolle spielt. Sie spielen mit Beweismitteln, Herr Knobel!«
»Alles zu seiner Zeit«, wehrte Stephan ab. »Ich hätte die Postkarte gar nicht offenbaren müssen. Vielleicht belastet sie meine Mandantin. Ich merke doch, dass Sie Frau Rühl-Brossard in den Fokus nehmen. Ich verstehe nur noch nicht, was Sie ihr konkret vorwerfen.«
»Man kann nicht schlecht genug denken«, blieb Ylberi gelassen.
»Aber man sollte realistisch bleiben«, hielt Stephan dagegen. »Es ist bewiesen, dass es einen Mann gab, mit dem Franziska offensichtlich zusammen war. Es ist offensichtlich, dass es Franziska selbst war, die an dem besagten Wochenende im Moselgold oberhalb von Traben-Trarbach war. Und es gibt eine Postkarte, die dort gekauft und offensichtlich von Franziska geschrieben und wie auch immer in die Pariser Wohnung von Pierre Brossard gelangt ist. Und schließlich bleiben ganz wesentliche Fragen offen, wenn man der These näher treten will, die ich aus Ihren Worten heraushöre, Herr Ylberi: Warum bleibt meine Mandantin nicht schlicht mit Pierre Brossard verheiratet? Muss sie sich seiner entledigen, weil er eine Affäre mit einer anderen Frau hatte? Sie stellen doch selbst die These auf, dass man gut nebeneinanderher lebte. Welches Ehepaar in dieser Situation genießt schon den Luxus, völlig ungestört voneinander in zwei Wohnungen, sogar in verschiedenen Ländern leben zu können?«
»Vielleicht hat Madame Rühl-Brossard einen anderen«, erwiderte Ylberi.
»Das ist schwach, Herr Ylberi! Wenn es so wäre, würde sie ohne Rücksicht auf Pierre Brossard mit ihrem Mann brechen.«
»Vielleicht würde Pierre sich dann von ihr scheiden lassen, und das könnte sehr teuer werden«, entgegnete Ylberi lakonisch.
»Reine Mutmaßung«, sagte Stephan. »Und schließlich: Irgendwo muss Pierre Brossard doch stecken!«
»Manche Leichen werden nie gefunden«, wusste Ylberi. »Aber vielleicht ist es ja für den Fall von Bedeutung, dass Pierre nach unseren Ermittlungen in der Vergangenheit durchaus häufiger mal für längere Zeit abgetaucht ist. Das sagen jedenfalls Mitarbeiter aus Dominiques Architekturbüro, denen gegenüber Frau Rühl-Brossard dies geäußert haben soll.«
Stephan überlegte. »Welche Vermutung haben Sie wirklich, Herr Ylberi?«
»Ich muss gestehen, dass die Postkarte vielleicht zu
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