Irrliebe
bin hingefahren, um Franziska zu sehen. Ich wollte wissen, wie sie sich verhält. Wie sie lachte, wie sie mit dem Typen scherzte. Wie sie sich verstanden. Wie sie einander festhielten. Das war wichtig und zeigte mir, dass es ernst war. Das war das Signal, dass es nun endgültig vorbei sein würde. Dafür musste ich nicht wissen, wie der Typ aussah. Es reichte, dass es ihn gab. Ich will auch nichts über ihn wissen.« Er rülpste.
»Und Sie haben Franziska nie wieder nachspioniert?«, vergewisserte sich Stephan ungläubig.
»Jeder muss wissen, ob er für sich am Ziel ist oder etwas anderes sucht«, antwortete Daniel hart. Er schlug mit der Faust gegen den Fensterrahmen.
»War sie nie länger weg, vielleicht mal einen ganzen Tag oder über Nacht?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Sie war nur einmal mit ihrer Freundin an einem Wochenende irgendwo an der Mosel. Ansonsten hatte Franziska nur ihre Notdienste, die keine waren.«
»Sie waren vorhin nicht sonderlich überrascht, als ich Ihnen sagte, dass Franziska eine Anzeige geschaltet hatte«, stellte Stephan fest.
»Als die Polizei hier war und danach fragte, ob und wo Franziska Briefe aufbewahre, wusste ich, dass es um private Briefe gehen musste, die mich nichts angingen. Mir ist egal, um was für Briefe es sich handelte und auf welchem Wege sie Franziska erreicht haben. All das sollte an mir vorbeigehen, also kümmert es mich auch nicht.«
»Haben Sie die Briefe versteckt?«, fragte Stephan.
Daniel wandte sich abrupt um.
»Verdammt noch mal, nein!«, brüllte er mit blitzenden Augen. »Ich habe sie nie gesehen. Und ich schwöre, dass ich Franziskas Sachen nicht danach durchsucht habe. Wenn man sie hier nicht gefunden hat, sind sie hier auch nicht.«
Dann rannte er heulend aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Marie und Stephan verließen still die Wohnung. Vor dem Haus stand ein demontiertes altes Bettgestell für den Sperrmüll. Sie blickten die Fassade hinauf. Oben stand Daniel am Fenster der hell erleuchteten Küche. Er starrte geistesabwesend in die einbrechende Nacht. Warum hatte er Ylberi gegenüber sein Wissen um den Mann verschwiegen, mit dem sich Franziska getroffen hatte? Und warum gab er gegenüber Marie und Stephan seine Beobachtungen bereitwillig preis? Wenn Daniel die Wahrheit sagte, hatte Franziska außer ihrem Wochenende an der Mosel niemals längere Zeit mit dem Mann verbracht. Die vermeintlichen Notfälle in der Klinik ließen sie nur ein bis zwei Stunden später als gewöhnlich nach Hause kommen. Dann musste sie sich mit Pierre in der näheren Umgebung getroffen haben. Warum meldete sich dann niemand auf die Suchmeldungen in der Zeitung?
14
Am Dienstagmorgen verkündete Staatsanwalt Ylberi Stephan nicht ohne Genugtuung das Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung. Beide Briefe Pierres an Franziska, von deren Existenz nur die im Hause von Dominique Rühl-Brossard gefundenen Ausdrucke zeugten, waren auf dem Computer geschrieben worden, der sich im Wohnbereich im Erdgeschoss des Hauses befand und sowohl von Dominique als auch von Pierre genutzt wurde. Die Briefe waren nach ihrer Erstellung und dem Ausdruck gelöscht worden, konnten aber noch auf der Festplatte des Rechners rekonstruiert werden. Danach war der vom 15. Oktober datierte Brief, den Ylberi nun den Streitbrief nannte, am selben Tage um 14.14 Uhr geschrieben worden. An diesem Tag gab es in Dominiques Studio eine lange Besprechung über ein französisches Bauprojekt. Der zweite, vom 19. Oktober datierte Brief, der an Franziskas Wohnadresse gerichtet war und von Ylberi nun der Trennungsbrief genannt wurde, trug wie der andere keine Fingerabdrücke. Er war am 19. Oktober um 16.10 Uhr geschrieben worden. An beiden Tagen befanden sich sowohl Dominique als auch Pierre jeweils – zumindest zeitweise – in der Wohnung. Wer von beiden zu den jeweiligen Uhrzeiten Zugriff auf den Computer hatte, konnte nicht geklärt werden. Man hatte herausgefunden, dass die Eheleute Brossard ein gemeinsames Passwort für den Computer benutzten, das nach den Ermittlungen keinen weiteren Personen bekannt war. Auf der Tastatur des Computers befanden sich sowohl Pierres als auch Dominiques Fingerabdrücke, mehrheitlich jedoch diejenigen von Frau Rühl-Brossard, was bereits dadurch erklärbar war, dass Dominique nach dem Verschwinden ihres Mannes den Computer mehrere Male benutzt hatte und deshalb auf den häufiger gebrauchten Tasten ausschließlich ihre Fingerabdrücke zu finden waren. Ob
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