Irrliebe
bedurft, um sich aus dem Teufelskreis zu befreien, an dessen Zustandekommen sie selbst ganz maßgeblich beteiligt war«, diagnostizierte der Staatsanwalt.
Marie war bei diesen Worten errötet und blickte betroffen zu Boden.
»Es ist kein Vorwurf gegen Sie, Frau Schwarz, gewiss nicht! Sehen Sie es einfach so: Sie sind die Einzige, die sowohl Franziska als auch Dominique – und damit nach meiner These in gewisser Weise die Antipoden in einem teuflischen Spiel kannten. Und Sie waren in Paris und kennen die Wohnung, speziell das Zimmer von Pierre Brossard, von dem mir Dominique erzählt hat. Sie sind also eine wichtige Zeugin für mich. Vielleicht kann ich über das, was Sie wissen oder vermuten, Antworten finden. Ich bin darauf angewiesen, mich im Rückschluss von Dominique und Franziska dem Mann zu nähern, den Franziska über die Chiffreanzeige kennengelernt hat. Diese Person nenne ich jetzt einfach M. M steht für Mann oder Mittäter. Wahrscheinlich ist er Mittäter. – Und Sie, Herr Knobel, sind mein Spiegel, in dem ich reflektieren kann. Sie stellen die richtigen Fragen, das weiß ich. Und so, wie man am besten einen Lernstoff paukt und ihn durchdringt, wenn man ihn anderen vorträgt, sitze ich jetzt hier, um Ihnen meine Theorie darzulegen. Sie wissen, dass es in diesem Fall bis jetzt keine kriminaltechnisch verwertbaren Spuren gibt, die uns etwas über die Identität von M sagen könnten – und ich bin mir natürlich sicher, dass dies ganz bewusst so gemacht wurde.«
Ylberi lächelte. Er beugte sich vor und schlürfte einen Schluck Kaffee.
»Ich fange ganz am Anfang an«, sagte er, »zu irgendeinem Zeitpunkt, als die Ehe zwischen Pierre Brossard und seiner Frau Dominique jene Substanz verloren hatte, die sie bis dahin zusammenhielt. Sie erinnern sich, Herr Knobel, dass wir über dieses Thema einmal gesprochen haben. Es wird, so vermute ich, von Anfang an keine Ehe gewesen sein, die auf glühender Leidenschaft gründete. Weder Dominique noch Pierre verkörpern romantische Typen. Das zu analysieren oder zu werten, steht mir nicht zu, und es ist am Ende auch nicht wichtig. Von Bedeutung ist nur, dass diese Ehe in ein loses Nebeneinander zerfiel, ohne dass dies Pierre oder Dominique veranlasst hätte, aus dieser Entwicklung die Konsequenz zu ziehen, nämlich sich schlicht scheiden zu lassen. Dafür kann es zwei Erklärungen geben: Entweder haben beide nicht so unter diesem Befund gelitten, dass sie die Scheidung als nötig ansahen. Hierfür spricht, dass beide ohnehin keine emotionalen Menschen sind, die auf eine nach allgemeiner Definition glückliche Zweisamkeit Wert legen. Oder es stand einer möglichen Scheidung die wirtschaftliche Vernunft entgegen. Wir wissen, dass beide anlässlich ihrer Eheschließung einen Vertrag geschlossen haben, in dem sie ausschließlich vereinbarten, dass auf die Ehe und ihre wirtschaftlichen Folgen deutsches Recht anzuwenden sei. Beurkundet wurde der Vertrag damals von Ihrem Kollegen Hübenthal hier im Hause. Ich habe mit dem Notar gesprochen. Er kann sich nicht erinnern, dass insbesondere auf Drängen Dominiques noch weitere Regelungen, zum Beispiel eine Gütertrennung, in den Vertrag aufgenommen werden sollten. Aber es steht zu vermuten, dass Pierre und Dominique dies vorher diskutiert haben. Macht man sich nämlich darüber Gedanken, nach welchem Recht man sich trennt und scheidet, denkt man natürlich auch darüber nach, was im Falle einer Trennung oder Scheidung rechtlich und wirtschaftlich passieren könnte. Aber solche Regelungen fehlen, und es liegt nahe, dass sich die reiche Dominique, die daran ein vorrangiges Interesse gehabt haben musste, nicht durchsetzen konnte. Pierre ist – das wissen wir aus seiner beruflichen Karriere – ein harter Knochen, der geschäftlich über Leichen geht. Also bleibt es bei einer schmalen Grundregelung, die nur besagt, dass die Deutsche Dominique Rühl und der Franzose Pierre Brossard sich in ihrer Ehe dem deutschen Recht unterwerfen. Betrachten wir das Vermögen, so sehen wir auf Dominiques Seite ein mehrfaches Millionenvermögen. Es gibt das prunkvolle Haus, in dem sie beruflich und privat residiert. Sie hat es erst vor wenigen Jahren gekauft, dann üppig renoviert und zum wahren Tempel ausgebaut. Wie wir wissen, verfügt sie noch über zwei weitere Mehrfamilienhäuser in derselben Gegend. Auf Pierres Seite dagegen gibt es im Wesentlichen nur die Wohnung in Paris, in der er vermutlich seine Abfindung investiert hat, die er seinerzeit
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