Irrliebe
erhalten hatte, als er die Firma verlassen musste, bei der er ursprünglich arbeitete.
Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück: Wenn jemand einen Grund hat, eine Scheidung zu vermeiden, dann ist es Dominique, denn sie wird im Zweifel reichlich an Pierre zu zahlen haben. Vielleicht ist Pierre zwischenzeitlich jedoch geneigt, der farblosen Ehe ihr längst überfälliges Ende zu setzen. Wir wissen von flüchtigen Affären, die sich der Lebemann nahezu unverhohlen gönnte. Es lag in der Luft, dass Pierre über kurz oder lang Adieu sagen würde. Hätte er die Scheidung beantragt, wäre es für Dominique zu denselben üblen Konsequenzen gekommen, denn das deutsche Recht fragt nicht danach, wer eine Trennung oder Scheidung verschuldet hat oder nicht.
Dominique sieht die auf sie zukommende Gefahr und fasst einen teuflischen Entschluss: Sie erfindet eine Beziehung ihres Mannes zu einer anderen Frau, in die er sich erst leidenschaftlich verstrickt, um sich dann im Streit wieder von der Frau zu lösen, der im Affekt mit dem Tod der Frau endet. Pierre Brossard nimmt sich daraufhin das Leben. – Diese recht einfache Geschichte löst Dominiques Problem: Sie ist Pierre Brossard los. Keine Scheidung durch das Familiengericht, sondern durch Tod. Also keine Zahlungen an Pierre. Im Gegenteil erbt sie sogar noch die Pariser Wohnung, aber auf die wird es ihr noch nicht einmal wesentlich ankommen. Die Geschichte, die sich Dominique ausgedacht hat, muss natürlich gelebt werden. Es muss eine beweisbare Beziehung zwischen Pierre und irgendeiner Frau geben, die dann den angedachten Verlauf nimmt. Pierre kann diese Rolle selbstverständlich nicht spielen. Die Rolle des Pierre Brossard übernimmt M. Wie Dominique an M kommt und wer er ist, bleiben unsere zentralen Fragen. – Dafür ist klar, wie das Schauspiel auf die Bühne gebracht wird: Dominique sucht die vermeintliche Partnerin für Pierre in den Chiffreanzeigen einschlägiger Magazine. Sie findet sie letztlich in Kult-Mund, dem Magazin, das in Dortmund allerorten in Geschäften und Gaststätten ausliegt. Natürlich kommt nicht jede Bewerberin in Frage. Ich bin mir sicher, dass Dominique die Anzeigen sorgfältigst studiert hat. Irgendwann stößt sie auf Franziskas Inserat, das sich von allen anderen abhebt. Es sprüht vor Begierde, hat aber auch unverkennbare Hinweise auf eine möglicherweise komplizierte charakterliche Struktur. Franziska sucht Hingabe und deutet gleichzeitig diffus eine dunkle Sehnsucht an. Wer Anzeigen lesen kann, blickt schon als Laienpsychologe tiefer in das Wesen des Inserenten. Sie kennen ja Herrn Hilbig, der seine ganze berufliche Energie offensichtlich daraus zieht, sich hobbyanalytisch mit den Menschen zu beschäftigen, die hinter den Anzeigen stecken. Wie auch immer: Dominique wählt diese Anzeige aus – und damit ist Franziska letztlich ein Zufallsopfer, denn es kommt am Ende nicht darauf an, wie Franziska als Frau ist, welchen Charakter sie hat und ob sie liebenswert ist oder nicht. Entscheidend ist allein, dass sie nach dem Anzeigentext zwei Merkmale aufweist, die bei der Inszenierung der Beziehung wichtig sind: Die fast aufopfernde eigene Bereitschaft zur Nähe und zugleich ein – ich behaupte – fast verzweifeltes Verlangen, dass ihr Partner sich in gleicher Weise auf sie einlässt. Dominique – oder auch M – antwortet auf das Inserat. Diesen Brief kennen wir noch nicht, aber er muss in besonderer Weise das Profil bedient haben, das Franziska in ihrem Inserat zeichnet. Denn Franziska hat – das haben Sie aus den großen Umschlägen rückschließen können und wurde von Herrn Hilbig aus der Redaktion bestätigt – eine Menge Zuschriften erhalten. M und Franziska treffen sich in der Folgezeit. Wo und wie oft, können wir nicht vollständig nachvollziehen. Wir haben bei der Untersuchung von Franziskas Handy keine unbekannten Telefonnummern gefunden, die M zugeordnet werden könnten. Offensichtlich wurde im Antwortbrief auf die Anzeige direkt ein Treffpunkt vorgegeben und beide haben sich danach immer direkt für das jeweils nächste Mal verabredet. Das macht Sinn, denn Franziska wollte ihre neue Bekanntschaft zumindest gegenüber Daniel verheimlichen. Es bestand das Risiko, dass er bei geeigneter Gelegenheit ihre gespeicherten Handynummern angesehen hätte. Und insbesondere kam es natürlich M darauf an, keine nachweisbaren Telefonkontakte zu Franziska zu haben, weil er eben nicht mit Pierre Brossard identisch ist. Und das Handy des wirklichen
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