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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Pierre Brossard haben wir nicht. Es ist mit ihm verschwunden. Wir haben allerdings über die Telefongesellschaft festgestellt, dass seit dem Mittag des 23. Oktober keine Telefonate mehr über sein Handy geführt wurden. M spielt also nur nach außen Pierre Brossard und im Wesen den Menschen, den Franziska mit ihrer Anzeige gesucht hat. Er bedient ihre Erwartungen, verwöhnt sie in der Seele, im Herzen und auch sexuell. Sie werden sich an verschiedenen Orten und auch über jeweils längere Zeit getroffen haben. Daniels Behauptung, dass sich die Treffen – abgesehen von dem Wochenende an der Mosel – auf relativ kurze angebliche Verlängerungen der Dienstzeiten von Franziska im Krankenhaus beschränkt haben, ist falsch und entspringt eher seiner Neigung, sich der Realität zu verschließen. Franziska und M bewegen sich, wie von M beabsichtigt, relativ häufig in der Öffentlichkeit. Es gilt, was Franziska natürlich nicht ahnt, Zeugen für ihre harmonische Beziehung zu finden, die später entsprechend aussagen. M achtet darauf, mit französischem Akzent zu sprechen, den er natürlich auch dann beibehalten muss, wenn er mit Franziska allein ist. Ich bin mir sicher, dass alle Begegnungen der beiden mit anderen Personen, die uns heute als Zeugen zur Verfügung stehen, sorgfältig von M arrangiert wurden. Diese Menschen sollen sich später an M und Franziska erinnern, und so werden zufällige Begegnungen mit besonderen Ereignissen aufgepeppt, die das Zusammentreffen in der Erinnerung der Zeugen festhalten. Der Auftritt im Moselgold mit dem blutigen Anstoß an dem Türbalken ist dafür ebenso ein Beleg wie der fotografierte Sprung vom Dreimeterbrett im Schwimmbad. Immer wird sorgfältig darauf geachtet, dass man sich später erinnern kann. Wahrscheinlich gibt es eine ganze Reihe weiterer Begebenheiten, zu denen M erinnerbare Geschichten arrangiert hat, von denen wir nur deswegen nichts wissen, weil die Zeugen die Vorfälle eben doch vergessen oder unsere Suchanzeigen in der Zeitung nicht gelesen haben. Bezeichnenderweise meldete sich niemand, als wir nach Pierre Brossard suchten. Ihn hatte naturgemäß keiner gesehen. Wir hatten erst Erfolg, als wir M über Franziska suchten. M wird dem wirklichen Pierre Brossard vermutlich in gewisser Weise ähnlich, bei genauerer Betrachtung aber nicht mit ihm zu verwechseln sein. Das weiß M natürlich, und er ist sorgfältig darauf bedacht, dass er bei allen inszenierten Geschichten, für die er andere Personen als Zeugen braucht, nicht fotografiert oder sein Auftritt in anderer Weise derart dokumentiert wird, dass man später nachweisen kann, dass er mit Pierre Brossard nicht identisch ist. So wird im Zelt übernachtet, das nicht wieder auftaucht. Die Blutspur am Türbalken im Moselgold wird sauber weggewischt. Ebenso sind zwischenzeitlich natürlich die Holzstühle im Moselgold gereinigt, auf denen die beiden gesessen haben. Alle Requisiten sind – wie geplant – keiner späteren Spurensicherung zugänglich. Die von M gespielten Geschichten sind angenehm unauffällig. Er arrangiert Alltagssituationen, die nur kleine besondere Elemente enthalten, die sie erinnerbar machen. M unterlaufen Fehler, die auf den ersten Blick seine sonst an den Tag gelegte Perfektion in Frage stellen, aber letztlich unbedeutend sind und deshalb gerade keinen Bruch darstellen. Der Anstoß an den Türbalken, in dessen Folge er eine Wunde an der, sagen wir, falschen Stelle davon trägt, ist ein Lapsus, der fast verzeihlich ist. Muss er wirklich damit rechnen, dass wir dies auf den Zentimeter genau nachrechnen? Ebenso der Fleck auf dem Körper des vermeintlichen Pierre Brossard, den wir auf dem Foto der Schülerin Jessica gesehen haben. Ist es wirklich ein größerer Leberfleck oder eine Warze? Vielleicht ist es auch nur Staub oder Dreck, den er sich beim Liegen auf der Wiese zugezogen hat. Wir haben das nochmals überprüft. Der Fleck ist auf dem Bild zu sehen, das den ersten Sprung vom Turm zeigt. M und Franziska haben zuvor auf der Wiese gelegen. Ihre Körper waren also nicht nass. Das Foto vom zweiten Sprung ließ M löschen, das vom dritten Sprung zeigt – wie das erste – Ms Körper nur unzureichend, weil er überwiegend von Franziska verdeckt wird. Allerdings ist der auf dem ersten Foto erkennbare Fleck auf der Schulter auf dem dritten nicht sichtbar. Möglicherweise fehlt der Fleck auf seiner Haut bei diesem Sprung, weil er vom Wasser abgewaschen wurde. Im Ergebnis also: Note sehr gut für die

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