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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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sogar schon eine neue Beziehung eingegangen war.«
    »Nein!«, schrie Daniel in den aufkommenden Lärm.
    Ein Zug raste durch den Bahnhof und verschluckte alle Nebengeräusche. Daniels Haare schlugen zur Seite. Er widerstand erstarrt dem Druck.
    »Natürlich haben Sie sie gelesen«, sagte Ylberi gelassen, als der Zug in der Ferne verschwunden war. »Es gab kaum Verstecke in der Wohnung. Anfang August kam Franziska mehrmals mit großen Briefsendungen nach Hause, die sie von Marie Schwarz abgeholt hatte. Sie wird Ihnen natürlich nichts von den Briefen gesagt haben, geschweige aus ihnen zitiert haben, aber Sie haben geschnüffelt, als Franziska nicht daheim war. Nach ihrem Tod haben Sie die Briefe weggeworfen. Das war doch eine ganz normale Reaktion! Ich nehme Ihnen das nicht übel!«
    »Nein!«, brüllte Daniel wieder.
    »Hier auf diesem Gleis ist sie überfahren worden!«, schrie Ylberi. »Schauen Sie sich die Stelle an!« Er packte Daniel an der Schulter und zog ihn bis zur Bahnsteigkante. »Stellen Sie sich vor, wie sie auf das Gleis gestoßen wird!«, herrschte ihn der Staatsanwalt an. »Jemand versetzt ihr einen gezielten starken Schlag, der sie aus dem Gleichgewicht bringt. Vielleicht taumelt sie noch einen Moment auf dieser Kante, rudert mit den Armen, um sich doch noch halten zu können, dann verliert sie den Halt, stürzt in den Gleistrog. 76 Zentimeter fällt sie herunter. Das ist tief, wenn man nicht vorbereitet ist. Sie fällt auf die Seite, vielleicht auch bäuchlings auf eine Schwelle oder sie schlägt mit den Knien auf die Schottersteine, vielleicht auch mit dem Gesäß auf die Schiene, wir wissen es nicht. Vielleicht ist sie bewegungsunfähig, vielleicht vom Schock gelähmt, vielleicht versucht sie noch, sich zu retten. Drei Lichter rasen auf sie zu. Es gießt in Strömen. Die Lichter funkeln in der Nacht. Sie werden größer und größer. Es sind nur noch wenige Meter. Franziska fällt in sich zusammen, es sind nur noch Sekundenbruchteile. Sie weiß, dass sie sterben wird. Vielleicht rast ihr Leben noch einmal vor ihrem geistigen Auge vorbei, vielleicht denkt sie jetzt an Sie, der Sie immer für sie da waren, nicht an den Mann, der sie gestoßen, sie für die Verwirklichung eines perfiden Planes benutzt hat. 160 Kilometer pro Stunde fährt der Zug …«
    »Schnauze, halten Sie endlich die Schnauze!« Daniel brüllte die Worte aus sich heraus, die Tränen schossen ihm in die Augen, er beugte sich vornüber und taumelte. Ylberi schnellte auf ihn zu, fing ihn, griff fest an seine Oberarme und richtete ihn mit einem Ruck auf.
    »Wenn Sie dieses Schwein gesehen haben, der Ihrer Franziska das Leben genommen hat, dann beschreiben Sie ihn mir hier und jetzt! Und bis ins Detail! So genau, dass wir ihn fassen können. Flüchten Sie sich in keine Fantasie, die Ihnen den Streich spielt, den Mann gesehen haben zu wollen, der all das angerichtet hat. Sie waren nicht an dem Güterschuppen, das wissen Sie! Sie waren auch nicht hier am oder auf dem Bahnsteig. Sie haben sich nur vorgestellt, dass es so gewesen sein könnte, sich ausgemalt, wie der Mann mit Franziska auf dem Bahnsteig stand, eine Szene in Ihrer Vorstellung durchlebt, weil Sie die reale Szene, das Grauen, das hier passiert ist, nicht zulassen können.« Ylberi wurde leiser und ruhiger. »Sie haben Franziska mit dem Mann hier auf dem Bahnsteig niemals gesehen. Oder ist meine Annahme falsch?«
    Daniel schüttelte schluchzend den Kopf.
    »Ich vermute also richtig«, vergewisserte sich Ylberi.
    Daniel nickte.
    »Manchmal bildet man sich etwas ein, Daniel!«, sagte der Staatsanwalt weich. »Das ist normal und deshalb nicht schlimm. Wir Menschen sind mit manchen Situationen überfordert. Mir wäre es wahrscheinlich ebenso ergangen wie Ihnen.« Er hielt einen Augenblick inne.
    Daniel sah starr vor sich hin.
    »Haben Sie ihn denn nahe dem Krankenhaus gesehen?«, fragte Ylberi weiter.
    »Ja«, antwortete Daniel schwach.
    »Mit einem roten Fahrrad?«, fragte Ylberi zweifelnd.
    »Ja!« Daniel sah auf und blickte Ylberi aus tränennassen Augen an.
    »Ich habe Franziska gesehen, als sie sich eines Abends im August nach Dienstende mit einem Mann unterhielt, der ein rotes Fahrrad mit sich führte.«
    Er beschrieb, was er bereits Stephan erzählt hatte.
    Ylberi schwieg nachdenklich. Das rote Fahrrad passte nicht in sein Bild. Er würde gleichwohl am morgigen Vormittag einen Haftbefehl gegen Dominique Rühl-Brossard beantragen.
     
     
     

21
    Am Morgen des folgenden

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