Isabelle
sollen.«
»Warum denn, schließlich ist keine Ferienzeit. Hier kommen sonst nur Touristen hin.«
»Wie man sieht.«
»Ich hasse Frauen, die quengeln und in Panik geraten, wenn man um sechs Uhr abends noch kein Luxushotel für sie gefunden hat.«
Nel kicherte. »Ich glaube eher, du gerätst in Panik, weil du dich zu alt fühlst für Baguette mit Schinken, eine Flasche Wein und eine Nacht mit mir auf der Rückbank.«
Er erwiderte ihr Grinsen. Sie sah aus wie eine Einbrecherin, in schwarzer Jeans, schwarzer Jacke und schwarzen sportlichen Schuhen. »Unsere einzige Chance ist das Hotel Le Sanglier im Zentrum«, sagte er. »Das ist zu teuer für Weinhändler und nach dem Gesicht der Dame zu urteilen auch für mich.«
Das Le Sanglier war ein altes Hotel, zwanzig Meter von der Durchfahrtsstraße entfernt, die das Zentrum in zwei Hälften teilte und auf der vor dem Bau der Autobahn Tag und Nacht Lkws vorbeigedonnert sein mussten. Das Hotel, teils mit Efeu bewachsen, sah aus wie ein umgebautes mittelalterliches Kloster und lag versteckt hinter hohen Ligusterhecken.
Der eine oder andere Jaguar auf dem Parkplatz, schwere Holztüren, gedämpfte Atmosphäre an der Rezeption. Das Personal, in Livree oder dunklem Anzug, sprach Englisch und war darauf trainiert, seine Verachtung für abgewetzte Sakkos und abgetragene Schuhe zu verbergen, da sich manchmal reicher, exzentrischer britischer Adel darunter versteckte. Max zögerte, als es hieß, nur noch eine Suite mit Blick auf den Garten sei frei, aber Nel sagte sofort: »Splendid, a suite, excellent!«
Ein junger Mann bemächtigte sich ihrer schäbigen Reisetaschen und zwängte sich mit ihnen in den winzigen Aufzug. Sie folgten ihm über einen knarrenden, dunkel gebohnerten Eichenholzboden durch den Gang bis zu einer metallbeschlagenen Tür, die er mit einem schweren Schlüssel öffnete.
Max gab ihm ein Trinkgeld und schloss die Tür. Nel fand eine Flasche Champagner in einem Kühler neben einer Obstschale im Vorraum und fing an, sie zu öffnen, während sie die in fröhlichen Ölfarben gemalte Weinlese szene eines lokalen Sonntagsmalers im Schlafzimmer studierte. Das Zimmer bot Aussicht auf ein sorgfältiges Arrangement von Sträuchern und Koniferen rund um einen Springbrunnen. Alles war schwer und gediegen, poliert und blitzsauber. »Besser als der Rücksitz«, konsta tierte Nel. Der Korken knallte aus der Flasche und sie kleckerte mit dem Champagner, als sie ihn in die Gläser füllte.
Max griff zum Telefon, um einen Termin mit dem No tar zu vereinbaren. »Ich schlafe freiwillig auf dem Sofa«, sagte er.
»Ach Quatsch. Erstens bist du zu groß und zweitens bist du bei weitem der Ältere von uns beiden.«
»Einverstanden«, antwortete Max. »Ich bin nämlich auch viel zu alt für gute Manieren.«
Die Kanzlei des Notars befand sich offensichtlich in dessen Wohnhaus, und es gelang Max problemlos, den Mann zu erreichen. Er hörte sich jung an und sprach ziemlich gut Englisch. Natürlich könne er sich morgen früh Zeit nehmen für Besucher, die wegen eines Nachlas ses extra aus den Niederlanden angereist waren.
Als sie eine Stunde später im Restaurant mit offenem Kamin am Tisch saßen und sich der lokalen Pastetenspe zialität, Confit d’Oie – in eigenem Fett marinierte Gänse stücke –, und schwerem Burgunder widmeten, wurde Max wieder von diesem typischen Urlaubsgefühl erfasst. Es stimmte ihn eher wehmütig und traurig anstatt fröh lich. Nel bemerkte, in welcher Stimmung er war.
»Ein Zeichen dafür, dass ich langsam alt werde«, sagte er. »Man vergisst Dinge aus der Gegenwart, während Dinge aus der Vergangenheit einem das Leben schwer machen. So was wie das Koreasyndrom.«
»Ich glaube, du bist zu jung, um in Korea gewesen zu sein.«
Max brach ein Stück von seinem Baguette ab und steckte es in den Mund.
»Du erzählst nie von deiner Ehe«, meinte Nel. »Du warst doch früher mal verheiratet, stimmt’s?«
»Das ist lange her. Meine Frau ist tödlich verunglückt. Lass uns lieber überlegen, wie wir die Sache mit dem Notar anpacken.«
»Wieder nichts als Ausflüchte«, sagte Nel.
Sie redeten über den Fall, aber Nel vergaß so leicht nichts. Er war schon fast eingeschlafen, als sie, nachdem sie eine halbe Stunde in dem luxuriösen Badezimmer verbracht hatte, die Lichter ausschaltete und zu ihm ins Bett kroch.
»Ich dachte, du wolltest auf dem Sofa schlafen«, murmelte er.
»Da ist es mir zu kalt.«
Max tastete blind hinter sich. »Du hast ja kaum
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