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Isartod

Isartod

Titel: Isartod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kämmerer
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eigene Kappe sozusagen. Heute trank er alkoholfreies Bier, um einen klaren Kopf zu behalten. So zumindest der Vorsatz. Die Flasche stand schon offen vor ihm auf dem Küchentisch. Wie eine Drohung.
    Letzte Ausfahrt Fröttmaning
    Im Millionendorf ist ein knallharter Verteilungskampf im Gange. Alle wollen im Monacopoly dabei sein. Die ausländischen Investoren kaufen alles, was sie kriegen können, und wenn es nicht zum Verkauf steht, dann bringen sie die Leute dazu, zu verkaufen. Nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch geprägt von einem Klima der Angst und Gewalt. Mit Toten. Wie der Wirt vom Maxim’s in der Maximilianstraße, dem Edellokal beim alten Marstall. Der lag totgekokst in seinen eigenen Toiletten. Die Obduktion hatte ergeben, dass man ihm das Zeug mit Gewalt reingepresst hatte. Jetzt wurde der Laden von einem Kärntner geführt, dem man beste Verbindungen zur bulgarischen Mafia nachsagte.
    Mein Auftrag lautete: den Chef einer italienischen Immobilienmafia beschatten, die sich in München breitmachen wollte. Wir hatten den Tipp von einem V-Mann.Fini war im Kunstpark Nord aufgetaucht, in einem der Nachtklubs. Der Süditaliener war in unseren Augen verantwortlich für drei Morde rund ums Hofbräuhaus. Kohlemäßig eins der Herzstücke von München. Zwischen Tal und Maximilianstraße. Teures Pflaster. Das er jetzt bald komplett kontrollierte. Die Nachtklubs, die Souvenirbuden, die Restaurants und natürlich das Hofbräuhaus selbst. Einflussreicher Mann. Und jetzt war er draußen im Kunstpark Nord. Passte wie die Faust aufs Auge. Mit der lokalen Halbwelt zusammenarbeiten.
    Der Kunstpark Nord war der Nachfolger des legendären Kunstparks Ost auf dem ehemaligen Pfanni-Knödel-Gelände hinterm Ostbahnhof. Als dort die Lichter endgültig ausgingen, hatte die Stadt ein Grundstück im sozial schwierigen Norden angeboten. Jahrelang wie sauer Bier. Bis eine ausländische Investorengruppe zuschlug und dort eine Art ganzjähriges Oktoberfest aufzog. Geschäftsführer des Ganzen war Josef Stadler, der Automatenkönig von Dachau, eine schillernde Gestalt mit besten Verbindungen in Wirtschaft und Politik. Von wegen Kunstpark. Von Kunst keine Spur. Stattdessen: Stripschuppen, Discos, Spielhöllen. Dawson Creek, Lawless City, Sexyland, Bangbang oder wie all die Klubs hießen. Definitiv nicht jugendfrei. Hier fanden dann tatsächlich Stadt und Land zusammen – auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Wenn Stadler und Fini jetzt gemeinsame Sache machten, na dann endgültig: gute Nacht, München.
    Ich fuhr durch die nachtleeren Straßen auf den Mittleren Ring. Mein Aftershave korrespondierte mit der nüchternen Kühle des Wageninneren. Cool Water. Ich schob die CD in den Player. Die ersten Takte trafen mich mit Wucht. Perfekt. Bobby Womack mit Across 110th Street.Als wäre ich in New York auf dem Freeway unterwegs. Die Rücklichter der Autos, die Neonstreifen der Tankstellen, der vom einsetzenden Nieselregen glänzende Asphalt, die Schlieren meiner altersschwachen Wischerblätter. Hinein in die Nacht. Ich stellte meine Lehne weiter nach hinten. Hielt das Lenkrad lässig mit ein paar Fingern. In den Norden.
    Fröttmaning, gescheiterte Boomregion zwischen Autobahn und Mülldeponie. Hier sagen sich Industrieruinen und andere zweifelhafte Liegenschaften gute Nacht. Zerklüftete Fabrikhallen werden überragt vom gewaltigen baufälligen Stadion. Zur WM 2006 in Windeseile hochgezogen und irgendwann auf die schiefe Bahn gekommen. Auf Sand gebaut. Betonstützen, Luftkissen, eine aufwendige Konstruktion aus Stahlseilen – ein Spinnennetz. Nichts half. Stetig neigte sich das Stadion. Eine Zeit lang wurde noch Fußball gespielt, schließlich erlaubten auch die Halbzeitwechsel kein gerechtes Spiel mehr. Als ob der BR-Klassiker Bergauf-bergab sein Motto auf Fußball erweitert hätte. Die 60er kehrten heim nach Giesing, die Bayern ins Asbach-Uralt-Olympiastadion. Der FC hatte es für’n Appel und ’n Ei gekauft. Wer wollte damals schon ein altes Olympiastadion? Clever, die Manager beim FC. Musste man schon sagen. Und die Fröttmaninger Arena ein lukrativer Versicherungsfall. Hauptsache, Allianz-versichert! Aber immer noch eine eindrucksvolle Erscheinung. Besonders bei Nacht. Die Arena sah aus wie eine riesige Satellitenschüssel, die in die Weiten des Weltraums hinaushorchte. Hallo, hallooo, hallloooo …
    »Hm.« Hummel legte den Kugelschreiber beiseite. Erstaunt sah er die Bierflasche an. Unangetastet. Er nahm einen Schluck. Bah!

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