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Isau, Ralf - Neschan 03

Titel: Isau, Ralf - Neschan 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lied der Befreiung Neschans Das
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Yehsirs Stamm übereinander hergefallen waren, zwar nicht mit Messern und Knüppeln, aber wer konnte schon wissen, wie das Ganze geendet hätte, wenn er damals nicht mit Hilfe des Stabes Haschevet dazwischengegangen wäre.
    Hier war er leider zu spät gekommen. Die düsteren Träume der vergangenen Nacht hatten ihn zwar gewarnt, ihm ein Bild des Leids übermittelt, geschaffen aus den Gefühlen Dutzender sterbender Menschen, das wusste er jetzt, aber da war die Tragödie schon geschehen. Als er dem Geist des Mädchens die schmerzlichen Erinnerungen nahm, hatte ihm Haschevet das meiste von dem offenbart, was zwischen den beiden Nomadenparteien vorgefallen war; den Rest hatte er von Yamina und von Lilith, der einsamen Braut, selbst erfahren.
    Das Mädchen war achtzehn Jahre alt und gehörte einer Sippe an, die ihre Abstammung von dem Stammesvater Targisch herleitete. Die Targischiter, so wusste Yamina zu berichten, unterschieden sich in einem besonderen Punkt von allen anderen Ostleuten: Sie achteten ihre Frauen. Bei den Nachkommen Targischs wurde nie ein Mädchen gegen seinen Willen verheiratet. Es durfte den Bräutigam selbst wählen oder ihn davonjagen. Letzteres hatte Lilith getan.
    Unglücklicherweise hatte ihr Verlobter nicht den Targischitern angehört. Alles war schon lange Zeit vorbereitet gewesen. Am Tag zuvor nun hatten sich die beiden Sippen getroffen, damit zwei Tage später das große Hochzeitsfest beginnen konnte. Als Lilith aber ihren Bräutigam wiedersah, hatte der sich verändert.
    Die Bilder aus Liliths Erinnerungen waren zu undeutlich, als dass Yonathan klar hätte erkennen können, was sich zugetragen hatte. Offenbar war der Bräutigam Lilith mit einem Mal hart und überheblich erschienen. Möglicherweise hatte er nun, da ihm die Braut vermeintlich sicher war, sein wahres Ich offenbart. Jedenfalls befürchtete Lilith wohl, dass sie von einem Mann, der selbst kein Targischiter war, wie eine Sklavin behandelt werden würde. Und deshalb hatte sie die Hochzeit abgesagt.
    Unter normalen Umständen hätte ein solcher Vorfall zwar zu erheblichen Verstimmungen geführt – die beiden Sippen wären noch am gleichen Tag in zwei unterschiedliche Himmelsrichtungen aufgebrochen, um sich für die nächsten Jahre aus dem Weg zu gehen –, aber man hätte die Entscheidung der Braut respektiert. Selbst die Nicht-Targischiter achteten die Tradition ihrer Brüder, obwohl sie oft genug Witze darüber machten. Aber das, was an diesem Ort vorgefallen war, hätte man bisher als undenkbar angesehen!
    Yonathan verstand Yaminas Empörung. Für das Nomadenmädchen zerbrach eine Welt und irgendwie, so glaubte Yonathan, war auch das alte Neschan dabei zu zerfallen. Und alles dank Melech-Arez und seinem Knecht Bar-Hazzat!
    Die Nacht hatte sich längst über den Ort des Schreckens gesenkt. Yonathan stand auf einer Anhöhe, die zwischen den zerstörten Lagern und dem Feuer seiner Gefährten lag. Unten wachte Gimbar. Yamina hatte sich beruhigt und war endlich eingeschlafen. Lilith schlief schon lange – mit sanfter Nachhilfe Yonathans. Er hatte dem Mädchen sagen müssen, dass es seine Sippe vor der Weltentaufe nicht mehr Wiedersehen würde, doch er hatte dies sehr schonend getan und das Koach wie ein Beruhigungsmittel in ihren Geist geträufelt.
    Jetzt war er endlich mit sich allein und starrte auf die Stätte hinab, über der das Schweigen des Todes lag. Selbst im Licht der Sterne glaubte er noch, das Grauen zu sehen. Er fühlte sich persönlich herausgefordert durch dieses Blutbad. Bar-Hazzat wusste, dass der Tag der Entscheidung näher rückte, dass eine Jagd begonnen hatte, welche die Zerstörung seiner Augen, der karminroten Steine des Unheils, zum Ziel hatte. Sie waren der Same, der vor langer Zeit in die Länder des Lichts gepflanzt worden war, um den Geist der Menschen zu vergiften. Und jetzt begannen sie ihren Einfluss auszuüben.
    In Yonathans Magengrube braute sich ein Sturm zusammen. Er hatte gelernt, dass seine vollkommene Liebe auch hassen durfte. Und er hasste! Vor den Toten dieses unglückseligen Ortes verfluchte er den Hohepriester des Melech-Arez, all sein Planen und Wirken.
    »Du wirst dir hier kein Mahnmal setzen!«, schrie er auf dem Höhepunkt seines Zorns hinaus. »Ich habe dich erkannt, Bar-Hazzat. Du meinst, die Gebeine dieser Toten werden dir die Lebenden gefügig machen. Aber du irrst. Du säst Furcht in die Herzen der Menschen und wirst Auflehnung ernten.«
    Dann erhob der siebte Richter den rechten

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