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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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hatte er mehrere Kisten gestapelt: schwarze Perlen, weiße Perlen, Briefumschläge – so weit, so gut. In seiner Hosentasche steckte Die verlorene Unschuld, im Mantel Nox und Lux. Letzteren hatte er mit Hilfe des zu langen Ärmels auf der linken Seite verschwinden lassen.
    Er lauschte in Richtung der Tür, die er mangels Schlüssel mit den Möbeln aus der Rumpelkammer verbarrikadiert hatte. Kein Geräusch war zu hören. Gmork war immer noch besinnungslos. Oder tot.
    Zum letzten Mal ging Karl im Kopf die Rettungsaktion durch: vor allem das Buch aus der Druse und die beiden Hände hinüberschaffen, dann die schwarzen, hierauf die weißen Perlen, am Schluss die Briefumschläge. Ja, in dieser Reihenfolge würde er alles durch den Spiegel und die Wissende Druse nach Phantásien bringen. Zuletzt kontrollierte er die Lappen, die er um seine Füße gebunden hatte. Sie waren stramm und würden ihn davor bewahren, sich wieder mit den scharfen Kristallen die Sohlen zu durchlöchern. Nach einem tiefen Atemzug durchschritt er den blinden Spiegel.
    Was er danach zu fühlen bekam, war ihm zwar mittlerweile hinlänglich vertraut, aber weder im Schwarzen Elfenbeinturm noch in Gmorks »Lux-Zimmer« hatte er daran Freude finden können. Auch jetzt erschreckte er sich fast zu Tode, als ihn plötzlich eine riesige Hand am Hals packte. Eine zweite griff nach seinem Hosenbund. Wie durch ein Wunder wurde er aus der Druse herausgezerrt, ohne an den spitzen Kristallen aufgeschlitzt zu werden.
    Jetzt konnte er auch sehen, wer ihm diesen stürmischen Empfang bereitete: ein riesengroßer blauer Menschenaffe in einem goldenen Lendenschurz. Nun, vielleicht war es auch kein Primat, sondern ein Blauer Haarling oder irgendein anderes phantásisches Wesen, das in Höhlen lebte und sich auf der Futtersuche durch die Opalwand in die Drusenkammer verirrt hatte. Karl fühlte sich äußerst grob auf den kalten Steinboden gestoßen. Der blaue Riese drückte ihm die rechte Pranke auf die Brust und richtete sich fast gerade auf – seine langen Arme verliehen ihm die nötige Bewegungsfreiheit –, dann hob er seinen ziemlich großen, unbeschuhten Fuß.
    Ach du liebes bisschen! Er will mich platt machen, durchzuckte die schreckliche Erkenntnis Karls Geist. Ihm blieben nur zwei Möglichkeiten: entweder die Augen schließen und warten, bis sein Kopf wie eine Nuss geknackt wurde, oder ...
    »Halt!« Karl hatte sich spontan für Möglichkeit Nummer zwei entschieden.
    Der Blaue Haarling hielt gehorsam inne. Sein Fuß sank wieder etwas herab.
    »Warum willst du mich töten?«, fragte Karl.
    »Der ehrenwerte Thaddäus hat gesagt, ich soll jeden Dieb platt hauen«, antwortete der Haarling mit schleppender, tiefer Stimme, die sich trotzdem nach einem kleinen Kind anhörte, das glaubte sich für etwas entschuldigen zu müssen.
    »Diebe?« Bei Karl fiel der Groschen pfennigweise. Er hatte zu viel durchgemacht, um noch klar und spritzig denken zu können.
    »Die Steintafel aus der Wissenden Druse darf keiner klauen«, erläuterte der Haarling.
    »Willst du mich nicht erst einmal fragen, ob ich überhaupt ein Dieb bin?«
    »Bist du ein Dieb?«
    »Nein. Manche würden mich vielleicht so nennen, wenn sie wüssten, was ich getan habe ...«
    »Na also«, sagte der Blaue Haarling und hob wieder den Fuß.
    »Warte!«, schrie Karl. Seine Hände wedelten wie Friedensfahnen.
    »Was ist denn noch?«, fragte der Haarling.
    »Der ehrenwerte Thaddäus hat dir doch bestimmt gesagt, dass du nicht jeden beliebigen Dieb ... platt hauen sollst, sondern nur solche, die das Buch aus der Wissenden Druse
    haben.«
    »Hast du denn das Buch aus der Wissenden Druse?«
    »Schon, aber...«
    »Dann darf ich dich auch platt hauen.«
    »Nein!«
    Das Fell des Haarlings sträubte sich. Unter anderen Umständen wäre es bestimmt ein komischer Anblick gewesen, aber nicht jetzt. Sein Unbehagen brachte der plumpe Riese zusätzlich durch besorgniserregende Worte zum Ausdruck. »Doch. Schluss jetzt. Du bringst mich ganz durcheinander mit deinem Geschrei. Lass mich dich erst platt hauen. Danach sehen wir weiter.«
    Der Blaue Haarling hob erneut den zwischenzeitlich etwas nach unten gesunkenen Fuß. Karl schrie, aber es half nichts. Was für eine Ironie! Er hatte Die verlorene Unschuld gerettet und wurde jetzt von einem blauen Riesenstaubwedel erschlagen. Diesmal schloss Karl die Augen.
    »Lector! Lass ihn sofort los!«
    »Beim ollen Scribonius! Du, ehrenwerter Thaddäus?«
    Eine Engelsstimme hätte in diesem

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